„Man spielt nicht mit der
Liebe“ von Alfred de Musset in den Kammerspielen des DT Berlin, Regie Horst
Sagert
Sprichwörterspiel
Gewiß ließe sich das im Jahre 1834 entstandene Proverbe (Sprichwörterspiel) „Man spielt nicht mit der Liebe" von Alfred de Musset (1810-1857) als lebensschmerzliche Reminiszenz einer großen Leidenschaft inszenieren. Der Dichter der französischen Romantik hatte sich mit diesem kleinen, tragisch ausgehenden Lustspiel die stürmische Liebe von der "Seele geschrieben, die ihn 1833/34 nur wenige Monate mit der Schriftstellerin George Sand verband.
Horst Sagert, dem Neuübersetzer (mit Claude Keisch), Bühnen- und Kostümbildner sowie vor allem Regisseur der Aufführung in den Kammerspielen des Deutschen Theaters war jedoch nicht am Weltschmerz gelegen. Er setzte auf Lebensmut. Seinen verschmitzt-ironischen Draufblick brachte er in nostalgischer Verfremdung auf eine wunderhübsch großväterlich stilisierte Bühne. Die glühende Sonne der Leidenschaft und der bleiche Mond der Melancholie spielen ausgiebig mit.
Zusätzlich reicherte er an mit geschichtlichen Hintergründen wie Napoleons Waterloo (1815) und analogen literarischen Erfindungen wie „Werthers Leiden" (1774) bis hin zur szenischen Assoziation etwa von Kleists Tod (1811). Dergestalt verwob er die Fabel innig in ein illustres Genrebild.
Mussets dramatischer Vorwurf erinnert ans tändelnde Schäferspiel wie ans gezierte Salonstück. Ein Baron der französischen Provinz, treuer Anhänger Napoleons, hat sich wenige Wochen vor der Julirevolution von 1830 resigniert in die Ahnengalerie seines Schlosses zurückgezogen. Er versteht die Welt nicht mehr. Immerfort geschieht, was nach den Maßgaben der Konvention eigentlich nicht sollte — selbst auf dem Klee wird neuerdings herumgetreten!
Im stillen Kreis seiner Verblichenen also
pflegt der Herr Baron seine Ruhe, vor allem vor dem Bildnis seiner schönen,
früh verstorbenen und heißgeliebten Schwester. Deren Tochter Camille hofft er —
auch wegen eigener amouröser Absichten, wie der Regisseur zu zeigen weiß — mit
seinem Sohn zu verheiraten. Die Nichte, eben großjährig geworden, kommt aus
einem Kloster, wo sie aufgezogen, er- und verzogen wurde, und der Sohn aus Paris,
wo er seinen vierfachen Doktor gemacht sowie neues Leben und neues Denken
kennengelernt hat.
Des Barons Pläne scheinen aufzugehen.
Perdican jedenfalls entbrennt sofort in Liebe zu Camille. Sie jedoch schwankt
zwischen natürlicher Empfindung, ihrer aufblühenden Neigung und den geistigen
Schranken klösterlicher Doktrin. Prompt flirtet der junge Mann mit Rosette,
Camilles Milchschwester, einem hübschen Bauernmädchen aus dem Dorfe, um Camille
eifersüchtig zu machen.
Der in Gang kommende klassische
„Dreiecks"-Konflikt wäre, selbst in flotter Konversation heruntergespielt,
in dieser Fassung heutzutage höchstwahrscheinlich von mäßigem Interesse, gäbe
nicht Sagerts theatralische Version Gelegenheit zu sehen, wie hier junge Liebe
gleichsam wie ein Fanal für Freiheit und Humanität in „unfertiger"
Umbruchzeit zwischen bürgerlicher Revolution und feudaler Restauration
triumphiert und leidet. Der Regisseur phantasierte im Sinne Mussets weiter, womit
er zugleich gegen die Manier opponierte, Stücke wider den Strich ihrer Autoren
zu bürsten.
Freilich hätte ich ihm dabei eine noch
glücklichere Hand gewünscht, was bedeutet hätte, die Phantasie auch wieder zu
zügeln. Seine epischen Streckungen des Textes haben zu viel szenische Ausführlichkeit.
Die verspielte, gewiß amüsante Verliebtheit ins possierlich-beredte Detail
strapaziert die Geschichte und verursacht auch Langatmigkeit. Sagert nimmt
gewissermaßen zweimal Luft, obwohl ein kräftiges Atemholen genügen würde, alle
Reize und Düfte dieser Provinzidylle aufzunehmen und der von Musset neu
empfundenen, psychologisch individuell erfaßten Liebe auch heutigen Hauch zu
geben.
Am besten gelang die große „Eros-Schlacht"
am Waldbrunnen. Die Spielzüge sind einfallsreich und fabeldienlich, Ton und
Rhythmus stimmen. Da raufen sich zwei junge Menschen heißblütig zum ewig
aktuellen Thema: Camille träumt von absoluter Liebe, Perdican versucht, ihr diese
Lebensfremdheit auszutreiben.
Corinna Harfouchs Camille, anfangs von zarter
Keuschheit, eng und eckig, leiseste Berührung scheuend, bald von verborgener Leidenschaft
zerrissen und schließlich von ungestümer Jugendlichkeit. Immer freier und herzhafter
streitet sie, desto bewußter ihr das beglückende neue Gefühl wird. Hier lebt
ein wirklich zauberhaft junges Geschöpf, das vom Zaudern in Taumel fällt,
wenngleich die Liaison dann mit dem Baron bei dieser Camille doch einigermaßen
überrascht.
Michael Schweighöfers Perdican hat nichts von
einem adligen Dandy und alles von einem lebenstüchtigen Naturburschen. Wenn er
emphatisch ruft, man müsse immer trunken sein und die Liebe sei der schönste Rausch,
dann hat das ob seiner überzeugenden Ehrlichkeit imponierende Zündkraft.
Otto Mellies gibt den Baron als einen in
salbungsvoller Güte um Vermittlung bemühten Fürsten. Ärger läßt ihn nur selten
aufbrausen. Eher frißt er ihn fast demutsvoll in sich hinein oder vertreibt ihn
doch besser im galanten Spiel mit dem schönen Geschlecht, zum Beispiel mit Camilles
Erzieherin, Frau Pluche (Jutta Wachowiak). Der Bühnenbildner hat ihm einen
geräumigen Kahn zur Verfügung gestellt.
Rosette (Katrin Klein) ist bei Sagert kein
unterwürfiges nettes Dummchen, sondern eine ziemlich selbstbewußte Dirne, die
sich mit Camille und Perdican kosend zu arrangieren versteht. Wird da auch noch
Goethes „Stella" (1775/1805) zitiert? Jedenfalls paßt die aufgeklärt-legere
Art der drei jungen Leute, miteinander umzugehen, nicht so ganz zu Rosettes
romantischem Freitod aus verschmähter Liebe. Die schnatternd vorüberwatschelnden
Gänse aus dem Stalle Eduard Fischers verfremden die tragische Schlußszene
wiederum angemessen.
Man spielt nicht mit der Liebe — zum Thema
äußert sich auch ein Chor der ortsansässigen Witwen und alten Bauern. Das ist
von komischer Feierlichkeit und lockert „musicalisch" auf. Reiner
Bredemeyers zitatenreiche Musik hat die Empfindung für die Leichtigkeit dieses
Sprichwörterspiels und für dessen tiefere und ernstere Bedeutung.
Wie auch immer: Langmut muß der Zuschauer
mitbringen. Dann kann Horst Sagerts komplexe Musset-Adaption ein anregender
Abend für ihn werden. So in etwa werte ich den kurzen, aber herzlichen Beifall
des Premierenpublikums.
Neues
Deutschland, 30. Juni 1989