„Wladimir Majakowski Tragödie“ von Wladimir Majakowski am theater 89 Berlin, Regie Gabriele Heinz

 

 

 

Geschundene Seele

 

„Nach Strich und Faden ausgepfiffen!« notierte der Dichter in seiner Autobiographie. Er meinte die Uraufführung seines Frühwerkes »Wladimir Majakowski Tragödie« 1913 durch die Künstlergemeinschaft »Jugend-Verband« im Petersburger Theater »Lunapark«. Der Zwanzigjährige hatte Regie geführt und sich selbst gespielt, einen jungen aufsässigen Dichter im Slum einer Stadt, ausgeliefert einem »Aufstand der Sachen«, wie er seinen Text ursprünglich hatte nennen wollen. Zeitgenosse A. Mgebrow resümierte: »Mir war, als sei ich an jenem Abend ... mit einer für ewig geschundenen Seele in Berührung gekommen ...«.

Ähnlich der Eindruck auch jetzt am Berliner theater 89, wo Gabriele Heinz das futuristische Stück in einem von Anne-Kathrin Hendel eingerichteten Spielraum bildkräftig präsentiert. Die Tochter von Erika Pelikowsky und Wolfgang Heinz (der Vater hatte ihr die Bühne verwehren wollen), die sich am Deutschen Theater als Schauspielerin behauptete, stellt sich zum wiederholten Male als einfühlsame, präzise Regisseurin vor. Sie wird nicht nur dem genialen Bürgerschreck Majakowski gerecht, dem leidenschaftlichen, emotionsgeladenen Rufer, auch dessen Bearbeiter Heiner Müller, dem sachlichen, emotionslosen Verurteiler - beide Poeten reflektieren ihre Mission wie ihr Schicksal zu unterschiedlichen Zeiten nicht unähnlich. Was Gabriele Heinz vorzüglich gelingt: Immer wieder holt sie die bizarren Metaphern, phantastische, ungebärdige, verzweifelte Höhenflüge der Phantasie, nachvollziehbar auf irdische Ursprünge zurück.

Zum Prolog nimmt Eberhard Kirchberg, der den Majakowski gibt, irgendwie ungehalten, scheint es, auf einer Rampe Platz. Gelassen schminkt er sich das Gesicht weißgrau, hantiert fahrig mit Papier, beginnt langsam zu lesen, spricht widerborstig. Sofort wird unendlicher Sarkasmus laut, rebellische Glut empfindbar. Ortswechsel sodann der Zuschauer, am Monument des Dichters vorbei, zu Stühlen, von wo aus sie verfolgen können, wie Majakowski - »fünffach gefolterter Schrei« - diese Welt zu begreifen, zu benennen versucht. Bevölkert ist sie von seiner stummen Bekannten (Maria Brendel), dem Katzenmann (Bernhard Geffke), dem Einaugenbein (Mirko Zschocke), dem Einohr (Franziska Kleinert), dem Mannohnekopf (Johannes Achtelik), der Tränenfrau (Thomas Pötzsch) - mitleidlosen, raffgierigen Leuten. Zerbrochene, Entwurzelte, »arme Ratten«. Sie streiten sich um ein Radio, gieren nach Zigaretten, pfeifen auf den Dichter. Wahnsinn des Daseins, den Majakowski auch mal dirigiert. Wobei er der Schönheit musikalisch (Musik Roberto Rivera) auf die Beine hilft; doch sie ist hilflos im Spiel, muß getragen werden, wird achtlos abgestellt.

Immerhin: Der Poet wird zum Fürsten ernannt. Sein Porträt in allen Gazetten. Phantastik und bittere Ironie. Er rebelliert gegen die Tränen der Verehrung, die ihm dargebracht werden, und wird prompt verachtet. Er aber sammelt die Tränen behutsam ein, lädt sie sich auf den Buckel, zieht einsam davon. Trotziges, sagenhaftes Selbstbewußtsein dennoch im Epilog.

Zwischen den Spielzeiten trotz sommerlicher Hitze ein anregender Theaterabend.

 

 

 

Neues Deutschland, 25. August 1997