„Mann ist
Mann“ von Bertolt Brecht im Volkstheater Rostock, Regie Benno Besson
Niemand tut diese
Inszenierung weh?
Bertolt
Brechts ;,Mann ist Mann" Wurde im September 1926 in Darmstadt
uraufgeführt. Der bürgerliche Kritiker Bernhard Diebold sah in der Formel „Mann
ist Mann" eine bolschewistische Losung. Der Mann fühlte sich also
getroffen. Doch Brecht selbst scheint damit noch nicht zufrieden gewesen zu
sein; denn unter dem Datum vom Oktober 1926 berichtete Elisabeth Hauptmann über
den Dichter: „Nach der Aufführung von ,Mann ist Mann' beschafft sich Brecht
Arbeiten über den Sozialismus und Marxismus und läßt sich aufschreiben, welche
Grundwerke er davon zuerst studieren soll. Aus dem Urlaub schreibt er in einem
Brief kurze Zeit später: „Ich stecke acht Schuh tief im ‚Kapital'. Ich muß das
jetzt genau wissen ..." Dieses Bedürfnis Brechts trifft zusammen mit den
wiederauflebenden revolutionären Kämpfen der deutschen Arbeiterklasse in den
Jahren 1927/28.
Was ging dem
voraus? Nach dem ersten Weltkrieg und nach der Inflation war es 1925
vorübergehend zur Stabilisierung des deutschen Kapitalismus gekommen. Die
revolutionäre Bewegung der Nachkriegsjahre ebbte zeitweilig ab. In den
Betrieben hatte die Einführung des Fließbandverfahrens verstärkte Antreibereien
zur Folge. Der Arbeiter am Band wurde zum Objekt, das beliebig ausgewechselt
werden konnte: Mann wurde Mann. Die Bourgeoisie triumphierte.
Diese
gesellschaftliche Entwicklung sah der junge Brecht nicht vom Standpunkt der
Arbeiterklasse, von wo aus er besonders den schweren Kampf der in einigen
deutschen Ländern zur Illegalität gegezwungenen KPD hätte verfolgen können,
sondern vom Standpunkt des linken bürgerlichen Intellektuellen, der die
Mißstände des Kapitalismus zwar entlarvte, aber nicht die Kräfte sah, die
befähigt waren, die Zustände von Grund auf zu verändern. Im Gegenteil! Sein
Zweifel an der Kraft des Proletariats — genährt durch die vorübergehende Ebbe
in den Klassenkämpfen — fand beredten Ausdruck in der Figur eines Packers, der
zum entfesselten Kleinbürger faschistischer Prägung und zum Verräter an seiner
Klasse absinkt!
Brecht erfand
die Parabel vom Packer Galy Gay, der einen Fisch kaufen wollte, aber von
Kolonialsoldaten zum vierten Mann einer Maschinengewehrabteilung ummontiert
wird, weil er nicht „nein" sagen kann. Die Formel „Mann ist Mann" ist
nur der vordergründige Aufhänger für Brechts Absicht zu beweisen, daß der
Kapitalismus mit einem Menschen beliebig viel macht, wenn er nicht „nein"
sagt.
Natürlich
genügt das „Nein" sagen nicht. Brecht schrieb dazu später selbst: „Die heutige Welt ist den heutigen Menschen
nur beschreibbar, wenn sie als eine veränderliche Welt beschrieben wird."
Wer aber verändern will, muß auch die Ursachen aufdecken, um Erscheinungen
richtig deuten zu können. Nun hat aber nicht das Absinken einzelner Arbeiter zu
Kleinbürgern oder die Verwandlung der kleinbürgerlichen Massen in wildgewordene
Spießer den Faschismus verursacht, sondern das Monopolkapital, das mit den normalen
Mitteln der bürgerlichen Demokratie nicht mehr regieren konnte. Deshalb
appellierte es an die niedersten Instinkte im Menschen und machte große Teile
des Volkes für den Krieg reif. Die Ursachen für das Verhalten des Packers Galy
Gay hat Brecht nicht gezeigt.
Nachdem 1933
der Faschismus in Deutschland jede demokratische Freiheit erstickt hatte,
schrieb Brecht 1936: „Die Parabel ,Mann ist Mann' kann ohne große Mühe
konkretisiert werden. Die Verwandlung des Kleinbürgers Galy Gay in eine
,menschliche Kampfmaschine' kann statt in Indien in Deutschland spielen. Die
Sammlung der Armee zu Kilkoa kann in den Parteitag der NSDAP zu Nürnberg
verwandelt werden. Die Stelle des Elefanten Billy Humph kann ein gestohlenes,
nunmehr der SA gehörendes Privatauto einnehmen. Der Einbruch kann statt in den
Tempel des Herrn Wang in den Laden eines jüdischen Trödlers erfolgen." Das
zeigt, wie sehr Brecht „Mann ist Mann" als ein Stück des Kampfes gegen den
Faschismus gesehen haben wollte.
Was also liegt
näher, als daß man diese Parabel, spielt man sie 1959, in die Kolonie
Westdeutschland „verlegt"? Weder die bewußten westdeutschen noch die
Arbeiter der DDR würden sich getroffen fühlen, im Gegenteil, ihr Blick würde
geschärft für die verderbliche Rolle der rechten SPD-Führung, die fleißig
Adenauer hilft, die westdeutschen Arbeiter zu Kolonial-Söldnern
„umzumontieren". Aber vor einer solchen erregenden, parteilichen
Inszenierung scheute Benno Besson in Rostock zurück. Er bemühte sich nicht
einmal, dem Stück insofern gerecht zu werden, daß die Aussage Brechts
vermittelt und die bestürzende Parallele zu Westdeutschland deutlich wird. Die
Rostocker Inszenierung tut niemand weh. Die gesamte bürgerliche Kritik würde
sie mit Lob überschütten und sich an der brillanten Form berauschen; aber
Besson spielt leider nicht Brecht.
Brechts Stück
„Mann ist Mann" ist eine Satire auf einige Folgeerscheinungen der
bankrotten bürgerlichen Demokratie, es ist aber auf keinen Fall ein belangloser
Zirkus. Das aber kam in Rostock heraus; und das Premierenpublikum war mit Recht
verstimmt. Wir schätzen Benno Besson als einen verdienstvollen Regisseur des
Berliner Ensembles. Um so mehr müssen wir ihm eine Warnung Brechts ins
Gedächtnis rufen, die auf die Rostocker Inszenierung gemünzt sein könnte. Brecht
schrieb 1955 in „Einige Irrtümer über die Spielweise des Berliner
Ensembles": „Die Form einer Aufführung kann nur gut sein, wenn sie die
Form ihres Inhalts ist, nur schlecht, wenn sie es nicht ist. Sonst kann doch
überhaupt nichts bewiesen werden."
Benno Besson
beginnt mit einer Fehlbesetzung. Heinz Schubert vom Berliner Ensemble ist ein
gestisch vorzüglicher, am Brecht-Stil gewachsener Darsteller. Aber Galy Gay ist
er nicht. Wenn ihn seine Frau einen Elefanten heißt, wird's komisch; Wenn er
ein Gewicht stemmt, wird's wieder komisch; denn er muß sich wirklich
anstrengen. Damit ist äußere, formale, falsche Komik dort gesetzt, wo Brecht
den Widerspruch aufdecken will, daß in einem so kräftigen, großen Mann eine
solche grenzenlose, die eigene Kraft verkennende Ahnungslosigkeit steckt, daß
dieser Mann nicht „nein" sagen kann, obwohl schon ein Funken Widerstand
den Kolonialsöldnern Angst einjagen würde.-Dadurch wird auch das Umschlagen des
Galy Gay zum „Schlächter" verharmlost und die historisch bewiesene Gefährlichkeit
dieser Entwicklung travestiert, also Brechts satirisches Lustspiel seines Kerns
beraubt.
Bei Besson
folgt ein weiterer Fehler. Anstatt daß die Söldner Uria, Jesse und Polly alle
Kraft aufwenden müssen, um diesen Elefanten Gay einfangen zu können, anstatt
daß sie also von der Regie klein und dürftig, aber gerade darum gefährlich und
brutal gezeigt werden, wobei mit den Mitteln der Verfremdung auch das Wesen der
Kolonialarmeen der Gegenwart hätte gezeigt werden können, erhebt sie Besson,
setzt er sie auf Stelzen, und macht sie zu Clowns, denen das Ummontieren ein
smarter Jux ist; (Gewiß, auch Brecht stellte sie 1931 auf Stelzen, aber nicht,
um sie als Clowns zu zeigen, sondern als Ungeheuer. Das war richtig; denn
damals drohte schon unmittelbar das Ungeheuer Faschismus.) Bei Besson drehen
die Soldaten einfach ein Ding, bei Brecht pfeifen sie auf dem letzten Loch:
Wenn es ihnen nicht gelingt, ihre Kampfkraft mit dem Hünen Gay aufzufrischen,
ist es schlecht um sie bestellt (was ebenfalls durch die Geschichte längst
bewiesen ist).
In Rostock wird das alles auf den Kopf gestellt. Kein Wunder, daß
der so wichtige, den Zuschauer orientierende Zwischenspruch gestrichen wurde.
Das Publikum weiß am Ende nur, daß auf der Bühne allerlei absurde Späße
getrieben wurden. Mithin handelt es sich weniger um eine realistische
Inszenierung, sondern eher um eine Verballhornung des Stückes.
Neues Deutschland, 22. Februar 1959