„Ein komischer Mensch“ von Nasim Hikmet,

Kammerspiele des Deutschen Theaters Berlin,

Regie Robert Trösch

 

Ein „komischer“ Mensch

 

Auf der Bühne der Kammerspiele des Deutschen Theaters liegt der Stein des Anstoßes. Nasim Hikmet hat ihn hingelegt, um die Figuren seines Stückes noch vor der Exposition in poetisches Licht zu rücken. Wir erkennen Gauner, Gutgesinnte und einen jungen Mann zwischen zwei Frauen. Das ist Achmed Rysa, der Advokat. Weil er sich für Nihal entscheidet, die er liebt, und nicht für Aitehn, des Großkaufmanns Tochter, die ihn reich machen könnte; weil er Recht sprechen will dem, der recht hat, und nicht dem, der das Geld hat, wird er ein „komischer" Mensch. Denn nicht der gilt in der bourgeoisen Gesellschaft, der den Stein wegräumt, sondern der, der ihn den Mitmenschen vor die Füße wirft. Je mehr sich Achmed Rysa auf Wahrheit und Gesittung beruft, desto „komischer" wird er für den Großkaufmann Redjeb-Bei; je weniger er ob seiner Rechtschaffenheit Geschäfte machen kann, desto „komischer" wird er für seine Frau. Nihal geht dorthin, wo Liebe sich auszahlt. Nun scheut Achmed nicht das verderbteste Geschäft, um seine Frau zurück­zugewinnen. Aber jetzt versinkt auch er im Sumpf der Korruption. Er verabscheut sich und sein Tun, wünscht den Tod und findet im letzten Moment Hilfe und Rat eines Arbeiters.

Nach Hikmets Konzeption müssen die Zuschauer Achmed aus der Sicht seiner Gegenspieler betrachten, wenn sie den „komischen" Menschen erkennen wollen. Denn was sie sehen, ist komisch, weil der Advokat Achmed Rysa ein Kleinbürger ist, weil er im histo­rischen Sinne, also objektiv komisch ist, so sehr er im Sinne der Ausbeuter und Gauner „komisch" sein mag. Während Geschäfte­macher wie Großkaufmann Redjeb-Bei oder der Erfinder Abdurahman sich gerissen die gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen zunutze machen, steht Rysa zwischen den Fronten, weil er davor zu­rückschreckt, sich mit denen zu verbinden, die seine Gesinnung und seine Lauterkeit achten und schätzen würden. Der Weg zur Arbeiter­klasse wird ihm gezeigt. Er schlägt ihn aus. So ist Achmed kein Held, für den wir uns erwärmen können. Wir wünschten, daß Selim, der Arbeiter, früher einschritte, als es geschieht. Von hier aus könnte das Stück sozialistische Realistik gewinnen. Jetzt wird zwischen Achmed Rysa und seinen Gegnern ein Kampf ausgetragen, der in der kapita­listischen Gesellschaft alltäglich ist und allein durch die grenzenlose Menschenliebe Hikmets realistische Substanz be­kommt, die uns anrührt.

Folgerichtig hat Robert Trösch inszeniert. Er hat aus dem Advokaten Rysa keinen Helden gemacht. Emil Stöhr gibt einen im Grunde seines Herzens auf einen gemütlichen Haus­stand orientierten, mit der eigenen Unschlüssigkeit kokettierenden Advokaten; dem die humanistische Ge­sinnung gut ansteht; solange es nicht unmittelbar um Frau und Herd geht. Sein Kampf ist zielloses, individualistisches Rebellenturn, das den Tod fast dem echten Ausweg vorziehen möchte. Daß Rysa am Schluß schließlich doch den richtigen Weg einzuschlagen scheint, ist eine freundliche Fügung des Dichters, der sich — wie alle Autoren — in sein Stück und in seine Figuren verliebt hat. Dies spüren wir vor allem im dritten Akt, der uns in eine Stambuler Spelunke führt und mit Menschen der verschiedensten Schichten be­kannt macht. Hier klingt vernehmlich die tiefe Sehnsucht des Dichters nach seiner türkischen Heimat an, hier gelingen ihm urwüchsige Volksgestalten. Alfred Kurella hat das Ganze sorgsam ins Deutsche übersetzt, und ebenso sorg­sam wird vom Ensemble ge­spielt.

 

SONNTAG, 10. April 1960