„Die Minderleister“ von Peter Turrini im Deutschen Theater Berlin, Regie Carl-Hermann Risse

 

 

 

Nur Shakespeare findet Trost im Suff

 

Am Vorabend des ersten Jahrestages der Währungsunion und angesichts einer beispiellosen Entlassungswelle in Ostdeutschland wartete das Deutsche Theater Berlin mit einer Lektion über den real existierenden Kapitalismus auf. Was der gelernte DDR-Bürger gefälligst zu wissen, wenn nicht gar zu glauben hatte, wird ihm mit dem proletarischen Trauerspiel „Die Minderleister" des Österreichers Peter Turrini nachdrücklich als wahr bestätigt: Die soziale Marktwirtschaft rationalisiert den Arbeiter so systematisch wie gnadenlos aus der Produktion hinaus.

Turrinis Held, der arbeitslos gewordene Stahlarbeiter Hans - der zwar noch einmal einen Job bekommt, aber als Ordner seine Kumpel nicht auf die Entlassungsliste der „Minderleister" setzen will - wählt den Freitod. Die für das Kapital angenehmste Lösung.

Das 1988 in Wien uraufgeführte Stück ist - so der Autor - „ein wütender, polemischer, verzweifelter, literarisch auch sehr streng formulierter Aufschrei gegenüber der unglaublichen Gleichgültigkeit, mit der wir hier die Ausgrenzung dieser Menschen vorbereiten".

Carl-Hermann Risse hat den Aufschrei inszeniert, schrill, deftig, nicht poetisch verklärt, sondern rauh hingestellt. Ein Inferno der Ausweglosigkeit. Im Bühnenbild Eberhard Keienburgs - einem großen Glaskasten als Stahlwerk mit kochenden Öfen als höllischen Untergrund - kombiniert die Regie natürliche Details und symbolische Verallgemeinerungen zu einem spröd-heterogenen Spielstil. Bis auf wenige Längen, etwa beim Auftritt der amerikanischen Sängerin, ist das stimmig in diesem schwierigen Genre.

Turrini bricht gelegentlich in groteske, satirisch scharf zeichnende Bilder aus. Die von Streß und verbliebenem Gewissen geplagte infame Personalchefin (Christine Schorn) tobt plötzlich hysterisch. Der genervte Minister für Arbeit und Wirtschaft (Peter Borgelt) offenbart in einem Psychotrip seine wahre Gesinnung: links, wo das Herz ist. Der gediegene Personalchef (Volkmar Kleinert) schnappt fast über aus Existenzangst und Mißtrauen.

Axel Wandtkes Hans ist zunächst ein junger Mann, für den die kleine, bescheidene Welt zwischen Stahlkocher und Ehebett heil ist. In der Begegnung mit der Personalchefin, wo er seine Kündigung freiwillig unterschreiben soll, bricht diese Welt zusammen. Hans verfällt apathischem Nichtstun, schaut sich abgestumpft einen Porno nach dem anderen an, verkauft sich in einer Fernsehsendung als Trottel (impertinenter Quizmaster: Sewan Latchinian) und schreit schließlich immer kreischender seinen ohnmächtigen Protest heraus.

Anna, seine Frau, ist bei Ulrike Krumbiegel ein tapferes, unverdrossenes, naives, genügsames, an Empfindungen armes, nach Zärtlichkeit sehnsüchtiges Geschöpf, ein reines Produkt der Konsumgesellschaft. Wegen des fehlenden Urlaubsgeldes für die Malediven gibt sie sich auch mal schnell für ein Porno-Video her.

Armseliges Leben das. Auch die anderen Stahlarbeiter, Schmelzer (Horst Weinheimer), Italiener (Thomas Neumann), Ringo (Robert Gallinowski) und Ursus (Roland Hemmo), treiben haltlos, ziellos und glücklos im Schicksal.

Der einzige Mensch, der noch etwas Draufblick hat, ist Shakespeare. So nennt der Autor hintersinnig einen Werksbibliothekar, dem er wie einem Shakespearschen Narren mal aufmüpfige, mal sentimentale Gedanken in den Mund legt. Dietrich Körner stapft, schlurft, torkelt und sinniert. Ein Freund der Kumpel, ein literarisch belesener, aus Verzweiflung Bier saufender breitschultriger, massiger Hüne. Er besonders steht für die Ohnmacht der Plebejer. Beißendes, sarkastisches, höhnisches Lachen und der Suff sind die einzigen Ventile für seine gequälte Seele.

Sehr viel Beifall für diese zeitträchtige Aufführung am Ende der Spielzeit 1990/91.

 

 

 

Neues Deutschland, 3. Juli 1991