„Seid nett zu Mr. Sloane“ von Joe Orton am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Mario Andersen

 

 

 

Wanderung auf schmalem Grat

 

Gelegentlich erobern Bühnenfiguren ihre Zuschauer im Sturm. Was mit ausgezeichneter Darstellung zu tun hat. Von solch glücklichem Fall ist jetzt aus dem Berliner Maxim Gorki Theater zu berichten. In Joe Ortons verteufelt schwarzer Komödie „Seid nett zu Mr. Sloane" kreiert Tatja Seibt in einer hinreißenden Mischung von horrender Naivität, ur­wüchsiger Herzhaftigkeit und sentimentaler Mütterlichkeit eine liebeshungrige Frau von 41 Jahren. Wie sich ihre Kathrin mit sehnsuchtstiefer Stimme und vibrierendem Kör­per so lüstern wie unschuldig den jungen Mr. Sloane angelt, verspricht bestes Theater. Man sieht sich nicht enttäuscht. Obwohl man letztlich im Grunde abscheuliche Monster besich­tigt.

Was zunächst für die Stu­diobühne konzipiert war, zu erkennen noch an der minimierten Ausstattung (Sabine Böing), ist in den Händen des jungen Münchner Regisseurs Mario Andersen, der mit dieser Arbeit in Berlin debütierte, ein amüsanter Abend geworden. Vergnügen an Grausamkeit und Herzlosigkeit? Ich finde, hier wird Brutalität ständig ko­misch gebrochen, ist die Komik ein Akt der Befreiung, ein Ver­such, mörderischen Verhält­nissen lachend, wenn nicht gar hohnlachend zu begegnen.

„In einer Welt, die von Schwachköpfen beherrscht wird, kann der Schriftsteller nur das Handeln von Schwach­köpfen oder deren Opfern wie­dergeben...", schrieb der 1933 geborene Autor. Er war einer jener jungen Männer aus der Arbeiterklasse, die wie Osborne zornig auf die Gesellschaft blickten und das englische Boulevard-Publikum mit schonungslosem Naturalismus schockierten. Wie unmittelbar Orton selbst von Schwachköpfigkeit umgeben war, konnte er nicht ahnen. 1967 wurde der als Dramatiker Erfolgrei­che von seinem eifersüchtigen Lebensgefährten mit acht Hammerschlägen viehisch er­mordet.

Um Mord geht es auch in sei­nem Stück aus dem Jahre 1964. Sloane, den Kathrin als ihren Untermieter aufgenom­men hat, wird von Kemp, ih­rem Vater, als Mörder seines Chefs erkannt. Als sich Kemp nach monatelangem Zögern entschließt, zur Polizei zu ge­hen, bringt ihn Sloane um. Und Kathrin und Ed, ihr Bruder, vertuschen den Mord gemein­sam, denn sie beide lieben den Verbrecher - Kathrin als wer­dende Mutter, Ed in homose­xueller Abhängigkeit. Vorsorg­lich teilen sie sich den bisexu­ellen Geliebten. Aller sechs Mo­nate wollen sie sich abwech­seln.

Zwar ist zu bezweifeln, daß der Plan der Geschwister auf­geht. Der Mörder wird sich nicht gängeln lassen. Eher wird er Bruder und Schwester gründlich ausnehmen. Aber darum geht es hier nicht, son­dern um Figuren und deren Beziehungen im Stück. Die sind in naturalistischer Rigo­rosität höchst glaubwürdig ge­staltet. Und der Regisseur hat mit gutem Empfinden für Stim­migkeit der Details die Grat­wanderung zwischen Wahn­witz und Komik gemeistert. Dank auch seiner vorzüglichen Besetzung.

Von Tatja Seibt war schon eingangs die Rede. Sie hat eine treuherzige weibliche Unmittelbarkeit, die für ihre Kathrin einnimmt, obwohl deren Un­bedarftheit zum Himmel schreit. Vater Kemp ist bei Hil­mar Baumann ein erbar­mungswürdiger Trottel, über alle Maßen kurzsichtig, schus­selig und von verbiestertem Groll gegenüber dem Sohn. Den Ed liefert Hansjürgen Hürrig in einer ausgereiften Studie als Gentleman mit betuchter reiner Weste und selbstgefälli­gem Stolz auf liberale Grund­sätze. Zumindest im Umgang mit sich selbst. Zur Befriedi­gung seiner Gelüste ist er zu jeder Schandtat bereit - was er zunächst geschickt verbirgt, zunehmend aber offen zugibt. Und Mr. Sloane hat in Harald Schrott einen jungen wendigen Darsteller, der den Verbrecher mit der Haut einer Prinzessin als so umgänglich hinkriegt, daß mörderische Unverfroren­heit fast ein Vorzug zu sein scheint. So erzählt denn das Stück ganz nebenher auch al­lerhand über die fatale Verführbarkeit des Menschen.

Beifällige Zustimmung im Gorki Theater.

 

 

Neues Deutschland, 12. Dezember 1995