„Nora“ von Henrik Ibsen im Schlosspark-Theater Berlin, Regie Heribert Sasse

 

 

 

 

Fröhlicher Protest aus dem Saal

 

Vorm Weihnachtsfest nahmen einige Berliner Bühnen ihres Erachtens zugkräftige, weil sattsam bekannte Stücke in den Spielplan. Die Schaubühne brachte Tschechows „Die Möwe", das Deutsche Theater lockt mit Shakespeares „Der Widerspenstigen Zähmung", das Schloßpark-Theater wollte bei diesem hauptstädtischen Reigen nicht fehlen und reihte sich mit Ibsens „Nora" ge­schickt ein in die Auswahl klas­sischer Frauen-Schicksale. Weniger mustergültig traditio­nell war das Maxim Gorki Theater mit Ortons „Seid nett zu Mr. Sloane". Doch auch da dreht sich alles um eine Frau. Tatja Seibt übrigens, die als Kathrin reüssierte, ist im Schloßpark-Theater als Ehe­frau Barbara in Baitz' „Drei Hotels" zu sehen. Ihr Ehemann Ken ist Heribert Sasse, der Hausherr.

Als Regisseur hat er jetzt Ib­sens „Nora" betreut, nachdem ihm Torsten Bischof durch Krankheit ausfiel und die Pre­miere verschoben werden mußte. Um es vorweg zu neh­men: In Steglitz ist eine publi­kumswirksame Aufführung entstanden. Der verbindlich­-liebenswürdige Charme Sasses gibt der Geschichte vom abso­luten Hauspascha Helmer und seiner schließlich aufsässigen Ehefrau Nora eine heiter-ge­fällige Note, die dem Konflikt aus dem Jahre 1879 zuzumu­ten ist. Die Angelegenheit, so schlimm aktuell sie leider ge­blieben ist, läßt sich weiß Gott nicht mehr bierernst verfol­gen.

Problematisch bei solch amüsantem Grundton wird freilich der letzte Akt, nämlich Noras überraschender Auf­stand und Helmers vieldeutiger Versuch, einzulenken. Aber Sasse, durchaus kompetent für diffizile Dialog-Regie, führt sei­ne Darsteller geschickt und gibt den jähen Wendungen Wahrscheinlichkeit. Ausge­sprochen gut auf Zwischen- und Untertöne versteht sich Wolfgang Häntsch als Helmer. Er führt einen rechtschaffenen Ehemann vor, wie er im Buche steht. Dieser künftige Direktor der Aktienbank ist so „grund­ehrlich" von sich und seinen Ansichten und Taten über­zeugt, daß das Publikum ein rechtes Vergnügen hat, seine mal albernen, mal stockkon­servativen Verlautbarungen zu verlachen. Wenn er zum Bei­spiel Nora als sein Eigentum bezeichnet, ist ihm fröhlicher Protest aus dem Saal gewiß. Solch funktionstüchtiges Theater bei einem alten Stück ist eine reine Freude.

Andrea Nürnberger als Nora agiert mit einer sprecherischen Gewandtheit, die eine gewisse Glätte impliziert. Aber man versöhnt sich mit dieser Spiel­weise, die eine Figur primär über den Text herstellt. Wenn die glaubwürdige Gebärde folgt, ist's schon stimmig. Mit Hilfe der Regie setzt diese Nora wertende Akzente dort, wo sie aufzubegehren beginnt, wo ihr ihre Lage immer bewußter wird. So wirkt ihr Entschluß, Helmer zu verlassen, durchaus glaubwürdig.

Überzeugend auch Michael Schindlbeck als distinguierter Advokat Krogstad. Dem Mann nimmt man ab, daß er aus ei­ner Zwangslage heraus han­delt und nicht, weil er a priori ein Bösewicht ist. Verena Peter als gütige Frau Linde - vom Dichter als eine Art dea ex machina erfunden, um eine Tra­gödie abzuwenden - ist von solch aparter, umgänglicher

Freundlichkeit, daß dem Krogstad gar keine Wahl bleibt. Ei­nen seine Krankheit gefaßt ertragenden Doktor Rank spielt Michael Kausch.

Das Stück wird in aller Aus­führlichkeit vorgestellt, also mit Helmers Kinderschar, was, da gut inszeniert, zum Erfolg des Abends beiträgt.

 

 

Neues Deutschland, 19. Dezember 1995