„Othello“ von Shakespeare vom Georgischen
Staatlichen Theater Tbilissi, Regie Temur Tschcheidse
Ein Kerl wie ein Baum – und mit großen Gefühlen
Lang anhaltender Beifall bereits anläßlich der Shakespeare-Tage in Weimar, herzlicher Beifall auch zum Gastspiel an der Volksbühne in Berlin. Applaus für das Georgische Staatliche Theater „Kote Mardshanischwili" aus Tbilissi, das eine georgische Übersetzung von Shakespeares „Othello" vorstellte.
Shakespeare ist zu allen Zeiten bearbeitet
und in die Sicht und Mentalität nationaler Theaterkulturen übertragen worden. Als
ihn englische Komödianten im 17. Jahrhundert nach Deutschland brachten, diente
er als Materiallieferant für Haupt- und Staatsaktionen. Die neue geistige
Dimension seiner Dichtung fand noch keine Partner.
Heute ist unbekümmerte Nutzung der Originale
dem Bemühen gewichen, sowohl dem Dichter gerecht zu werden als auch Wirkungen
ins Heute zu erzielen. Damit ist die alte Frage im Grunde geblieben: Wie weit
dürfen Bearbeitungen das Original abwandeln?
I. Matschabeli besorgte die georgische
Version. Er sparte Figuren ein, den Dogen, auch Desdemonas Vater, und kam auf
drei Akte. Er konzentrierte auf Othellos Liebe (1. Akt), Eifersucht (2. Akt)
und Mord (3. Akt), damit auch auf Jago und auf Desdemona. Die
Taschentuch-Intrige, bei Shakespeare ein wichtiger Baustein der Fabel, bekommt
zentrales dramaturgisches Gewicht. Die Handlung bleibt zwar in ihren sozialen Bindungen,
lebt letztlich aber vom Ränkespiel Jagos. Shakespeares Tragödie wird als ein psychologisches
Drama gesehen.
Doch noch bevor man anhebt, über Verluste zu
klagen, versöhnt die Schauspielkunst, versöhnt vor allem O. Megwinetuschuzessi,
der Darsteller des Othello. Ein Riese von Gestalt, ein Kerl wie ein Baum,
sparsam, getragen und erhaben in der Geste, mit einer gewaltigen Stimme, die
tief innen aus der Seele strömt. Kein Augenrollen, keine Grimasse. Mit ihm —
wie auch mit den anderen Figuren — kann sich der Zuschauer unmittelbar ins
Benehmen setzen. Regisseur Temur Tschcheidse vertraut der unverfremdeten schauspielerischen
Direktheit.
Die Bühnenbildner O. Kotschakidse, A.
Slowinski und J. Tschikwaidse bauten den dunklen, hölzernen Laderaum eines
Kriegsschiffes. Links und rechts stehen Kanonen. Eine rustikale Szenerie.
Plötzlich brechen die harten Rhythmen moderner Musik (G. Gatschetschiladse) herein.
Und von hinten wird Othello mit Peitschenhieben aufs Schiff getrieben. Er
bricht zusammen. Ein Auftakt, der drastisch hineinreißt in die tragische Verstrickung
des Statthalters von Zypern. Körperlich geschunden, aber geistig wach erinnert
sich Othello — und damit beginnt die Handlung.
Ankunft auf Zypern. Ein stolzer General tritt
auf. Sieger über die Türken, erfolgreich im Werben um Desdemona. Sehr selbstbewußt
ist dieser Othello, aus vollem reinem Herzen sonor lachend, in unendlicher Ruhe
und Gewißheit liebend. Zart nimmt er die glückliche Desdemona (M. Dshanaschia)
auf und trägt sie, die sich wie eine Feder in seinen Armen ausnimmt, in lodernder,
feierlicher Sinnlichkeit zur Liebesnacht.
Eine außerordentlich bewegende Szene dann im
zweiten Akt, wenn Jago das Mißtrauen in den Koloß senkt. Sie sitzen vertraut
über einem Planspiel. Jago (N. Mgaloblischwili) schießt beiläufig seine
intriganten Pfeile ab. Er trifft zunächst nicht, ritzt dann doch die Haut.
Othello merkt auf, prüft, wägt, zögert, wehrt ab, bleibt in der unendlichen
Ruhe, will es jedoch genauer wissen. Immer ist da auch die redliche Naivität,
ja Einfalt, die ihn verwundbar macht. Nun ist er doch vom Planspiel abgelenkt,
will Klarheit, will Beweise. Dann das Taschentuch. Alles scheint bewiesen. Heiß
lodert die Eifersucht auf, wirft ihn in eine Ohnmacht. Jetzt ist er schon das Opfer
Jagos.
Im dritten Akt wird Othello als Statthalter
abgelöst. Er nimmt es hin, ganz in Eifersucht verirrt. Gezügelt, scheu fast,
dann hemmungslos bricht die Verzweiflung aus ihm heraus. Tief verwundet wütet
Othello. Desdemona verteidigt sich vergebens. Wenn Jago ihm zuflüstert, sie zu
erwürgen, schaut er noch ungläubig auf seine Hände, hebt sie aber tatbereit.
Nachdem er Desdemona umgebracht hat, ist er nahe dem Wahnsinn.
Erneut wird die Handlung gebrochen. Sie kehrt
zum Vorspiel zurück. Die Wächter zeichnen den Gefangenen als Mohren, prangern
ihn an. Othello erkennt seinen Irrtum und beißt sich die Pulsadern auf. Desdemona
erscheint dem Sterbenden, nähert sich ihm mit einer brennenden Kerze...
Nicht rundum Shakespeare zwar, aber gekonnt,
wirkungsvoll, gesund und elementar in den Empfindungen und Gefühlen.
Neues
Deutschland, 5./6. Mai 1984