„Peace“ von Falk Richter an der Schaubühne Berlin, Regie Falk Richter

 

 

 

 

Überzeugende Momente menschlicher Gesinnung

 

Albtraum Kosovo-Krieg. An der Ber­liner Schaubühne meditiert Falk Richter in einer theatralen Collage, die er »Peace« nennt, extraordinär und äußerst kundig über Journalisten, die sich zu Sprachrohren der NATO machen lie­ßen. Sein drastisches Resümee: Es sind fast durchweg ausgeflippt karrieregeile, neurotisch kranke, recht eigentlich jämmerlich armselige, weil vom System miss­brauchte Typen.

Als Richter (Jahrgang 1969) im Rahmen des jüngsten Theatertreffens »Nuthing hurts« vorstellte, sein choreographisches Opus über seelische Untiefen, warf ich ihm vor, im Ungefähren zu lavieren und ins Leere zu experimentieren. Diesmal bietet er als Autor wie als Regisseur in­haltlich Substanz, greift er sich einen zeit­genössisch brisanten Lebensstoff und konstatiert nicht nur den erbärmlichen Zustand, sondern lässt Gestalten anhand ihrer Erfahrungen Erkenntnisse gewinnen. Stagnation scheint überwindbar. Zumindest auf der Bühne.

Wobei sich der Schreiber seinen ästhe­tischen Mitteln treu bleibt. Das heißt, er baut keine Fabel nach Aristoteles oder Brecht, sondern entwirft mit höchst diffe­renzierten, brüchig naturellen Texten eine bestimmte Lebens-Atmosphäre. Schilde­rungen über kriegsmörderische Gescheh­nisse, persönliche Statements und simple Alltags-Handlungen in einer Durch­gangswohnung, die zugleich als Agentur fungiert (Bühne Katrin Hoffmann), wech­seln scheinbar wirr einander ab. Aber weil es dabei nicht nur um Nabelbeschau geht (beispielsweise darum, dass einer der Jungs der Wohngemeinschaft sehr gern seinen Penis zeigt und von Männer­hand angefasst haben möchte), sondern um eine existenzielle Frage wie Krieg oder Frieden, löst sich solch bizarrer Figuren-Reigen aus belanglosem Privat-Knatsch und bekommt eine sozial wesentliche Di­mension. Ein schroffes Bild ergibt sich, ein Eindruck, eine Emotion – Verbitterung und Enttäuschung über junge Intellektu­elle, die sich des Geldes und der Karriere willen benutzen und vernutzen lassen.

Exemplarisch ablesbar an Laura, vor­geführt von Jule Böwe, einer total über­forderten, verzweifelt rackernden Managerin einer Presse-Agentur. Ohne Ahnung von Land und Leuten zu haben, wird sie ins Kriegsgebiet geschickt und hat im Üb­rigen Ärger mit einem Foto, das erfrorene Säuglinge zeigt. Kopflos hastet diese Laura durch den Raum, hantiert fahrig mit den Händen, kreischt mit schriller, dünner Stimme, ist schon fast irr, wenn sie zwi­schen Lust auf schnelle Liebe und ihren Job-Pflichten nicht zu entscheiden weiß, und quält sich letztlich zu verblüffenden Erkenntnissen. Irgendwer muss da sein, findet sie, ein geheimnisvoller Mächtiger, der die Fäden in der Hand hat, die ganze Kriegsmaschinerie und all die willfähri­gen Medien-Bericht-Erstatter. Und sie, Laura, begreift, dass sie nichts weiß, nichts weiß... Diese Momente menschli­cher Besinnung, des Aussteigens aus to­taler Konformität, bringt Jule Böwe auch stimmlich überzeugend plastisch.

Ihr Kollege Marco, gezeigt von Kay Bartholomäus Schulze, ein Kameramann, gnadenlos live am Geschehen, treibt nicht passiv mit, sondern verurteilt das kritiklo­se Mitläufertum, das »dem Datenstrom-Hinterherschwimmen«, die ganze Verlo­genheit des NATO-Krieges. Eine kleine theatrale Oase in dem ansonsten turbu­lenten Play ist Marcos verquer komischer Disput mit Wolfgang (Hans Fleischmann), einem Mitbewohner, der ihm dadurch auffällt, dass er sich irgendwie heraushält. Dem Marco kommt befremdlich vor, was er eigentlich begrüßen müsste.

Die Gestalten, durchweg widersprü­chlich gefasst, sind offenbar Ergebnis gu­ter Beobachtungen. Wolfgang bleibt leider zu skizzenhaft. Ausführlicher ist der Autor beim Fotoreporter Stefan (Falk Rockstroh als cooler Macher) und bei Tim (Robert Beyer als Nervenbündel), einem Prototy­pen des gewissenlosen, käuflichen Jour­nalismus.

Mit »Das Kontingent«, einem modernen Lehrstück über die UNO, hatte die Berliner Schaubühne unter Thomas Ostermeier der Spielzeit 1999/2000 einen ersten merklich neuen Akzent gegeben. Die Ur­aufführung jetzt, »Peace«, eine Kopro­duktion mit Kampnagel Hamburg, lässt hoffen, dass am Lehniner Platz auch künftig politisch aktuelles, produktiv ein­greifendes Theater versucht werden wird.

 

 

 

Neues Deutschland, 21. Juni 2000