„Penthesilea“ von Heinrich von Kleist am
Staatsschauspiel Dresden, Regie Wolfgang Engel
Antike Heldensage als Bekenntnis zur Natur
des Menschen
Das Bühnenbild Jochen Finkes zu Heinrich von Kleists „Penthesilea" am Staatsschauspiel Dresden ist mir zu dominierend. Hohe kahle Flächen. Ein viereckiger anonymer Raum. Holzbänke. Türöffnungen nach allen Seiten. Dahinter ringsum ein Wandelgang mit metallenen Wänden. Beschränktheit und Enge lassen sich assoziieren, gewiß. Aber der Dichter wünschte ein Schlachtfeld bei Troja. Wir sollten es ihm bewilligen, vielleicht zurückhaltend angedeutet.
Dieser Einwand ist aber auch mein einziger
gegenüber der ansonsten durch Dezenz der Leidenschaften faszinierenden Inszenierung
von Wolfgang Engel. Der Regisseur erreicht hier, was sich schon kräftig bei
Hebbels „Nibelungen" am Dresdner Theater andeutete — eine künstlerische
Reife, die ihn in die erste Reihe der Schauspielregisseure unseres Landes
rückt.
Heinrich von Kleist hatte sein Trauerspiel
nicht für die Bühne geschrieben, wie er 1808 Goethe kundtat, obwohl er
offensichtlich insgeheim hoffte, in Weimar gespielt zu werden. Er wußte sehr wohl,
daß seiner Tragödie, mit der er idealistische Vorstellungen von der Antike
desillusionierte, nur Schauspieler gerecht werden konnten, die die Natur nicht,
wie damals üblich, philisterhaft-rührend nachahmten.
Dem Stück liegt die antike Amazonen-Sage
zugrunde, es handelt von der zerstörerischen Wirkung mutterrechtlicher Ideen, die
sich in ihrer Verabsolutierung gegen die menschliche Natur richten. Nach dem
unmenschlichen Gesetz der Amazonen darf selbst Penthesilea, die Königin, nicht lieben.
Im sagenhaften Frauenstaat wird kein Mann geduldet, er wird allenfalls im Krieg
zum Zwecke der Fortpflanzung erbeutet. Diese Widersinnigkeit der Amazonen-Emanzipation
beginnt die Königin dumpf zu ahnen, als ihr vor Troja der Grieche Achilles begegnet.
Sie verliebt sich, unterliegt ihm im Zweikampf und gerät — ohnmächtig — in
Gefangenschaft. Achilles aber, ebenfalls in Liebe entbrannt, erlaubt den Begleiterinnen
der Königin, ihn als Gefangenen auszugeben. Die Täuschung gelingt.
Diese Liebesszene zwischen Penthesilea, die als gesundes Weib zu empfinden und
zu reagieren vermag, und dem selbstbewußt-bescheidenen Achilles wird zum
Glanzpunkt der Aufführung. Da erblüht theatralische Poesie trotz ernüchternder
Szenerie, da entfaltet sich Kleists plastische Sprache zu genußvoller
Schönheit.
Wolfgang Engel wählte einen einfachen, aber
menschliche Beziehungen präzis mitteilenden Spielgestus. Griechen und Amazonen
benehmen sich nicht wie große Heroen der antiken Sage, sondern wie normale
Menschen — obendrein von Jutta Harnisch prosaisch in Militärmäntel und Knobelbecher
gesteckt. Der Regisseur riskiert hier eine Schlichtheit, die punktuell zur
Parodie des gewaltigen Geschehens umzuschlagen droht.
Dennoch entwirft gerade das scheinbar stillose, aber doch situationsgenaue Handeln
— bestimmt und getragen von Cornelia Schmaus als Penthesilea und Christoph Hohmann
als Achilles — unmittelbar und schlüssig Kleists grandioses, erschütterndes
Bild von der tragischen Ohnmacht übermächtiger Liebe unter inhumanen gesellschaftlichen
Verhältnissen.
Die Penthesilea der
Cornelia Schmaus ist von einer gewinnendanmutigen Burschikosität. Stolze Amazone
zwar, aber charmantübermütig zugleich, wenn sie wie die Sonne angesehen werden
möchte. Und Achilles blinzelt keck durch die Finger, als blende ihn ihr
Anblick. Der junge Christoph Hohmann debütiert als ein männlich-kräftiger, zartfühlender
Grieche. Sehr präsent, sehr genau auch die übrigen Darstellerinnen —
insbesondere Hannelore Koch als Prothoe, Helga Werner als Oberpriesterin und
Suheer Saleh als Meroe.
Hohmanns Achilles verkörpert eine neue,
humane Welt und Auffassung gegenüber dem in die Krise geratenen Barbarentum der
Amazonen. Er muß sterben durch Penthesilea, die — nachdem sie von der Täuschung
erfährt — in wahnsinnigem Haß gegen ihn rast. Aber der Tod des Liebsten löst
ihre starre geistige Bindung, verzweifelt sucht sie den Freitod. Auch hierfür
fand die Regie eine schlichte, eindrucksvolle szenische Lösung. Der
Premierenbeifall war herzlich und lang anhaltend.
Neues
Deutschland, 25. März 1986