„Penthesilea“ von Kleist am Staatstheater Schwerin, Regie Martin Meltke

 

 

 

Keine Chance für die Vernunft

 

Wenn sich in der Kammerbühne des Mecklenburgischen Staatstheaters Schwerin der Vorhang zu Heinrich von Kleists Trauerspiel „Penthesilea" öffnet, rieselt Schutt aus dem Schnürboden. Querliegende Balken. Zerborstenes Mauerwerk. Ziegelbrocken. Chaos auf der Bühne. Noch eben scheint eine Rakete detoniert zu sein.

Damit ist von Regisseur Martin Meltke und Ausstatterin Änn Schwerdtle der Akzent gesetzt. Kleists eruptiv-bombastisches Vers-Drama ist eingekürzt und prononciert zurechtgerückt zum Anti-Kriegs-Stück. Nichts liegt trainiert zeitgenössischem Theater näher, als den Wahnsinn des im Grunde irrationalen Schlachtens zwischen den Amazonen und den Griechen vor Troja gewissermaßen als Parabel zu nehmen für den Irrsinn des Golf-Gemetzels.

Zunächst stehen Odysseus (Ralf Lehm) und Antilochus (Oliver Bäßler) inmitten der Trümmer und erörtern die schlimme Raserei der Penthesilea wie zwei abgeklärte Bänker, die über den fallenden Dollar räsonieren. Die Amazonen dann scheinen ein Kränzchen von fidelen Emanzen. Bei Kerzenschein tändeln und tänzeln sie. Penthesilea ist ein schmächtiges Mädchen mit Jungfern-Dutt. Sie hat weder etwas Heldisches noch wild Kriegerisches einer von uraltem Denken getriebenen Königin. Sondern scheint vor allem eine verträumte Gespielin für die trostlos-männerlosen Tage der Amazonen.

Ein erstaunlich beredtes Bild gelingt, wenn Achilles (Thomas Ziegler) die Penthesilea (Simone Cohn-Vossen) in seiner Gewalt hat, sie aber glaubt, ihn besiegt zu haben. Beide sitzen auf einem Sofa wie ein taufrisches Liebespaar, das nicht recht zueinander findet. Zugleich aber wird gestisch genau erzählt, wie weltfern sich die beiden Kontrahenten sind, wie unüberwindlich die Schranken ihres Glaubens. Achills idealistische Hoffnung, die Liebe werde stärker sein als überkommenes Dogma, ist kaum tragisch exponiert. A priori ist hier keine Chance für die Vernunft.

Den Bericht der Asteria (eigentlich Text der Meroe, die gestrichen ist) über das Abschlachten des Äginers durch Penthesilea gibt Susann Thiede als erschütternde Anklage. Pures, ohnmächtiges Entsetzen über so viel Unmenschlichkeit macht sie zum Höhepunkt der Aufführung. Folgerichtig dann, wenn noch sehr sinnfällig vorgeführt wird, daß diese Amazonenkönigin verrückt ist.

So erzählt die Aufführung zwar wenig über Kleists Faible, sie, Penthesilea, habe „ihn wirklich aufgegessen, den Achill, vor Liebe". Aber sie erzählt drastisch von der Perversität des Krieges. Das ist fast mehr, als Theater heute leisten kann.

Zum Kleist-Projekt der Schweriner gehört übrigens noch „Der zerbrochne Krug", worin bekanntlich Eve allerhand tut, damit Ruprecht nicht Soldat werden muß.

 

 

 

Neues Deutschland, 18. Februar 1991