„Quartett“ von Heiner Müller im Theater im Palast Berlin, Regie Bernd Peschke

 

 

 

Kunstvolle Langeweile mit Merteuil und Valmont

 

 

Das Theater im Palast brachte als DDR-Erstaufführung Heiner Müllers literarisch opulenten Text „Quartett" zur Kenntnis, geschrieben nach Motiven des Briefromans „Die gefährlichen Liebschaften" von Pierre Choderlos de Laclos (1741-1803). Der Franzose deckte 1782 die moralische Fäulnis des Ancien régime psychologisch konkret auf. Zweihundert Jahre danach, 1980, machte Müller Laclos' Gestalten zeit- und geschichtslos, um an ihnen abstrakt eine allgemeine, Liebe und Lust tötende menschliche Entfremdung zu behaupten.

Zur Verkürzung seiner Sentenzen verschlüsselte der Autor die intrigante Marquise von Merteuil und den Verführer Vicomte von Valmont sowie deren Opfer, die Klosterschülerin Cécile und die tugendhafte Ehefrau und Präsidentengattin Madame von Tourvel, zu zwei leibhaftigen Homunkuli, welche elegisch über Religion, Moral, Eros und Sex meditieren, wobei sie — eine philosophische Koketterie — ihre Geschlechter tauschen. Quartett. Das konstruierte Spiel menschlicher Beziehungen ist letztlich so esoterisch, daß es sich theatraler Kommunikation entzieht. Was sich begibt, ist ein Rede-Mysterium.

Bernd Peschkes stilwilliger Versuch szenischer Auslegung signalisiert morbide Überdrüssigkeit und sterile Eleganz, hymnisch verklärend einerseits, sich ironisch distanzierend andererseits.

Der Monotonie der Müllerschen Gedankenkaskaden wird mit willkürlicher Diktion und allerdings läppischen Extempori etwas entgegengewirkt. Doch die Bedeutsamkeiten der sich so wichtig nehmenden Texte stehen immer wieder im Widerspruch zur Skurrilität oder Banalität der dazu erfundenen und nebenher ablaufenden Spielerchen. Obendrein verlieren sieh die zelebralen Deutungen im klaren Marmor des als Spielraum genutzten weitläufigen Treppenhauses.

Schaubar werden eitle Selbstbespiegelung und gefühlsrohe Beziehungslosigkeit der Figuren, unübersehbar sind ihre gegenseitigen Mißhandlungen. Im Ohr haften bleiben die meist verlegenen, ansonsten böse-sarkastischen Lacharien der Merteuil (Vera Oelschlegel), akustisch nur schwach ins Ohr gelangen die gar oft zu ausdruckslos gesprochenen Erinnerungen und Reflexionen des Valmont (Manfred Ernst).

Ein Großteil der Zuschauer, fürchte ich, blickt im Verlaufe des Abends immer sehnsüchtiger auf ein anderes Quartett, nämlich auf vier während der seltsamen Hergänge lebendiges Leben flimmernde Fernsehgeräte. Zu mächtig ist die sich ausbreitende Langeweile.

 

 

Neues Deutschland, 7. April 1989