„Die Räuber“ von Friedrich Schiller am Schiller-Theater Berlin, Regie Alexander Lang

 

 

 

 

Tiefernst genommen und gnadenlos veräppelt

 

Als Regisseur Alexander Lang den Premierenbeifall im Berliner Schiller-Theater dankend entgegennahm, trug er auf der Brust demonstrativ ein Chaplin-Porträt zur Schau. Offensichtlich wollte er seine Inszenierung der „Räuber" von Friedrich Schiller im Geiste des genialen Meisters des Komischen verstanden wissen. Mit chaplineskem Weltverständnis kann man an der Aufführung in der Tat seine helle Freude haben. Vielleicht ist dies derzeit überhaupt die glücklichste Art, sich Leben wie Kunst zu nähern.

Wohl noch nie in deutscher Theatergeschichte wurde das Werk des jungen Dichters (nach der ersten Fassung von 1781 und der Mannheimer Fassung von 1782) Szene für Szene so vehement dialektisch erschlossen, so tiefernst wörtlich genommen und gleichzeitig gnadenlos veräppelt. Noch eben scheint es ganz ursprünglich dem Sturm und Drang anzugehören, dann gibt es sich klassisch streng, schon wieder verweilt es romantisch in den Bildern schwelgend. Keine Zauber-, aber eine originelle Räuber-Posse mit tragischem Flair in einer faszinierend plastisch ausgeleuchteten Burgruine von Bühnenbildnerin Caroline Neven Du Mont, zu der Carl Gustav Carus oder Caspar David Friedrich Pate gestanden halben könnten.

Die Bande taucht aus dem Bühnenboden auf als ein rechtschaffener Haufen sangesfreudiger Libertiner. Die Trommel ist ihr Markenzeichen. Aber aller musikantische Eifer vermag sie nicht zufriedenzustellen. Als gute Deutsche beginnen ,sie zu philosophieren. Karl exponiert sich, noch kräftiger Spiegelberg. Der Friede in Deutschland schmeckt ihnen nicht. Dagegen wollen sie rebellieren. Womit in etwa ihre Sozialrolle umrissen ist: Sie sind ein unbedeutendes extremes Häuflein, wandlungsfähig dann allerdings auch. Ins väterliche Anwesen Karls fallen sie friedlich ein, mit blumengeschmückten Kopfbedeckungen und diversen Geschenken für Amalia. Wenn schließlich doch Flammen lodern, ist das rein theatralische Illumination.

Das Publikum spielte den Abend über lebhaft mit. Auf den lauten Zwischenruf „Quatsch" folgte die laute Widerrede „Aber von Schiller". Der frustrierte Einwand „Staatsklamotte" kam just an der Stelle, wo Karl mit seinem Text „Es ist alles so — verworren — kein leitendes Gestirn..." fast wie arrangiert entgegnen konnte. Dies an einem Höhepunkt der Aufführung, wo Lang die nihilistische Räuber-Mentalität, deren soziale Ziellosigkeit, durch Übertreibung dekuvriert.

Zunächst führt Spiegelberg (vom kleinen, gedrungenen Wolfgang Pregler hinreißend als ein besessen eifernder Idealist dargestellt) einen rhetorischen Disput mit einem Teddybären, den er übermütig abknallt. Daraufhin wird er umgebracht und auf Geheiß Karls weggetragen. Doch die die Leiche schleppenden Räuber kurven maulend auf der Bühne herum und finden lange keinen Abgang.

Hier jongliert der Regisseur nun wirklich kühn auf dem schmalen Grate seines ziemlich zuverlässigen Theaterinstinkts. Er macht's passabel mit fröhlicher szenischer Phantasie. Es ist die eines rational scharf und konkret denkenden Historikers, dem der Gaukler in ihm immer wieder hilft, ernste Vorgänge zwar durchaus spielen zu lassen, doch fast in einem mit grotesk-ironischen Verfremdungen zu verspotten.

Trefflich die Besetzungen. Die sprecherische Verve. Walter Schmidingers regierender Graf von Moor raucht wie ein Schlot und schmettert, auferstanden aus dem Kerker, seine Anklage ungebrochen gegen Sohn Franz. Der ist in der Gestaltung Michael Maertens ein eklig intriganter Bube, kein billiger Theaterbösewicht, sondern ein gefährlich agiler, auch rhetorisch exzellenter Drahtzieher. Der Karl, den Jürgen Eibers gibt, ist von schöner kräftiger Männlichkeit, so stolz ein leidenschaftlicher Räuber wie am Ende brav ein einsichtiger Bürger. Seine Amalia hat er zuvor noch umgebracht wie in heiliger Zeremonie. Katja Riemanns weibliche Ausdruckskraft prägt sich ein.

Die Räuber ließen sich vielleicht unterscheidender charakterisieren. Am ehesten hebt sich Kosinsky ab, von Iwan Gallardo, einem kleinen, athletischen Darsteller, als heißsporniger Jüngling gespielt. Die anderen: Andrej Diamantstein (Razmann), Peter Ebert (Schweizer), Heino Ferch (Grimm), Sebastian Koch (Roller) und Martin Olbertz (Schwarz).

Bei den Auftritten des Paters (Lothar Blumhagen), des Hausknechts Daniel (Fritz Truppe) und des Bastards Hermann (Thomas Wolff) schien die Aufführung manchmal doch jenen Späßen nahe, die auch bei Arnold und Bach funktionieren. Aber dem diesmal gar nicht manierierten Regisseur sei's nachgesehen. Alles in allem ein wichtiger Neuanfang für Alexander Lang in Berlin. Und ein Fest fürs Theater.

 

 

 

Neues Deutschland, 26. Oktober 1990