„Rheinische Rebellen“ von Arnolt Bronnen an der Volksbühne Berlin, Regie Frank Castorf

 

 

 

Ironisches Gaudi über deutschen Nationalismus

 

Occc, der siegreiche Putschist, zwischen vier Frauen. Folge: Die separatistische Staatsaktion erliegt sexuellem Trieb. Folge: Deutschland kann hoffen.

Was 1925 Leopold Jeßner am Staatlichen Schauspielhaus Berlin half, mit schwarz-rot-goldenen Fahnen patriotische Gesinnung zu demonstrieren, Arnolt Bronnens (1895-1959) expressionistisches Drama „Rheinische Rebellen", benutzt Frank Castorf 1992 an der Berliner Volksbühne zu einem ironischen mimisch-kabarettistischen Gaudi über deutschen Nationalismus.

Castorf, als Regisseur am Deutschen Theater im Grunde immer ein ästhetischer Außenseiter, hat mit dieser zweiten Inszenierung im eigenen Haus seinem phantastischen Trivial-Theater ein weiteres Ereignis hinzugefügt. Wie immer operiert er angelegentlich mit Wasser, Feuerwerk und Kleidungsstücken, diesmal auch mit Bier und Banane, aber ich finde, seine gauklerischen Einfälle ordnen sich überzeugender als bislang dem Menschen und vor allem der Geschichte zu, die da aphoristisch gespielt wird.

Selbstverständlich montiert sich Castorf den Bronnen zurecht. Wer Gelegenheit hat, den Autor vorher zu lesen, sollte das tun. Dann versteht er besser, worum es irgendwie geht. Denn die szenischen Metaphern verschlüsseln und entschlüsseln nach wie vor fast nach Belieben. Aus den konkreten Umständen der rheinischen Separatistenbewegung macht Castorf eine abstrakte Rebellion gegen Deutschland.

Sein Bühnenbildner Hartmut Meyer verzichtet auf die genaue Ortung der Schauplätze in Köln, Mainz, Trier, Koblenz und Aachen, sondern baut Segmente der Drehbühne zu kubistischem szenischem Hintergrund für die Spieler; ausgezeichnet insgesamt, hervorragend für den Akt, der bei Bronnen im Mainzer Theater spielt, wo der Herr Occc seine große volksverführerische Rede hält.

Da ist, geschickt ausgeleuchtet, eine schmale, fast schwankende Brücke. Auf ihr erspielt Henry Hübchen, der den politischen Demagogen und haltlosen Lüstling Occc gibt, einen rhetorisch-mimischen Höhepunkt. Von der Scheinheiligkeit seiner Rede geradezu krummgezogen, stimmlich diverse Volks(ver)führer ins Spiel bringend, haut dieser Occc auf die freiheitliche Pauke: „Wir sehen kein Vaterland, wir sehen Betrug!" Hübchen gelingt es, assoziativ an machthungrige Politiker zu erinnern, die derzeit in Europa auf Kosten des Volkes. mit dem Blut und den Tränen der Menschen spielend, egoistisch ihre Machtinteressen verfolgen. Die tragischen Folgen, zerstörtes Familienglück, zeigt Susanne Düllmann als Mutter Vonhagen.

Die wohlgestalteten jungen Frauen, die dem Rebellen Occc zum Verhängnis werden: Gien (Claudia Michelsen), die Koblenzer Fabrikantentochter, die treu nationalbewußte Deutsche, die bei Castorf fast in einer Tonne ersäuft wird, aber ihre gläubige patriotische Gesinnung nicht aufgibt. Ihre Schwester Erle (Meral Yüzgülec), die sich vom Lüstling angezogen fühlt. Und Pola (Astrid Meyerfeldt), die opfermütige Russin, die dem Occc geradezu sklavisch dienstbar ist.

Die Anspielung auf die DDR (als Puppe schwebt Erich Honecker auf einem Sofa in die Schlußszene) gibt der Aufführung einen gewiß legitimen aktualisierenden Touch, reißt allerdings subjektiv gewollt Widersprüche in objektiv nichtstimmige Zusammenhänge, so daß der Abend im letzten Moment mit platter Effekthascherei endet.

Das Premierenpublikum reagierte enthusiasmiert.

 

 

Neues Deutschland, 24./25. Oktober 1992