„Alle Reichtümer der Welt“ von Eugene
O’Neill am Renaissance-Theater Berlin, Regie Gerhard Klingenberg
Kranke Seelen
Nach „Fast ein Poet" von O'Neill im November 1994 stellt Gerhard Klingenberg, der scheidende Intendant und Regisseur des Berliner Renaissance-Theaters, jetzt die Fortsetzung der Familien-Saga, das nachgelassene Stück „Alle Reichtümer der Welt" vor. Von der Gewinnsucht der Besitzenden zu erzählen, hier der amerikanischen Industriellen-Sippe Harford, ist höchst anerkennenswert in einer Gesellschaft, in der der durch Geldgier und Machthunger verursachte moralische und ethische Verfall der Menschen böse eskaliert.
O'Neill (1888-1953) hatte noch
Hoffnung - vage zwar, so doch immerhin -, als er mit der Bibel warnend fragte:
Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an
seiner Seele? Inzwischen wissen wir nur zu gut: Die Reichen greifen dreister
denn je nach der Welt und pfeifen auf die Seele. Insofern hat Ihr Treiben
nichts Tragisches mehr. Es ist nur noch verwerflich. Und jedem geschieht im
Grunde recht, der sich beteiligt und darüber irre wird.
Daher kann sich Anteilnahme am
Geschäftsgebaren des Simon Harford nicht herstellen. Zwar träumt dieser Herr, als
er noch jung ist, von der vollkommenen Gesellschaft ohne Ausbeutung und will
darüber ein Buch schreiben. Nachdem er aber, als vom Vater verstoßener Sohn,
nach dessen Tod überraschend die Firma übernehmen darf, entwickelt er sich zum
skrupellosen Unternehmer. Um seinen Konzern aufzubauen, ruiniert er gnadenlos
andere. Den eigenen Bruder schikaniert er nach der Devise: Hinter deinem
Recht steht keine Macht, also hast du auch kein Recht. Er manövriert die Firma
an den Rand des Bankrotts und zerstört die eigene Familie.
Die konfliktbeladenen Beziehungen
zwischen ihm, seiner Ehefrau Sara und der Mutter Deborah, von denen ich die krankhaften
Auswüchse noch nicht einmal geschildert habe, sind bei O'Neill von solcher
Fülle, daß ein umfangreicher Roman hätte daraus entstehen können. Der Dichter
hinterließ ein dramatisches Rohmaterial für eine Spieldauer von rund zehn
Stunden. Für die Uraufführung 1962 im Stockholmer Königlichen Dramatischen Theater
kürzte Regisseur Karl Ragnar Gierow auf viereinhalb; Gerhard Klingenberg konzentrierte
jetzt auf zweieinhalb Stunden.
Geht das überhaupt? Der Regisseur,
ein guter Kenner des Stückes, setzte auf die Unmittelbarkeit der Vorgänge. Und
auf die Schauspieler. Elisabeth Orth ist eine resolute, streng ihren
Standesdünkel wahrende Mutter, dabei sehr wandlungsfähig bei der Darstellung der
seelischen Umbrüche. Claudia Wenzel ist eine scheinbar unbekümmerte, lebenskräftige,
auch ein klein wenig frivole Schwiegertochter Sara. Und Benedict Freitag gibt
einen betont männlichen, klaren, immer unbedingter operierenden
Großindustriellen, der sich aus dem Bannkreis der Mutter nicht zu lösen vermag
und letztendlich zusammenbricht. Auch Wolfgang Grindemann (Joel Harford),
Günther Tabor (Rechtsanwalt) und Horst Schultheis (Bankier) agieren direkt und
präzis.
Dennoch: Trotz des überzeugenden
Spiels ist immer zu spüren, daß psychologische, für das Verständnis der Figuren
wesentliche Prozesse verknappt und minimiert sind. Da begibt sich ein
Aktionismus, der vor allem das Wandeln der Harfords am Rande des Wahnsinns kaum
erschließt.
Andererseits: Ließe die Regie O'Neill
sich ungehindert in den erkrankenden Seelen baden, es wäre unerträglich. Die
Freudschen Verstrickungen der Industrie-Bosse der USA mögen einst (das Stück
entstand 1938) eine poetische Entdeckung allerersten Ranges gewesen sein.
Heute ist die Story von der gigantischen Habgier der Familie Harford und ihren
üblen seelischen Folgen - sozusagen die Grimmsche Schnurre vom Fischer und seiner
Frau auf Amerikanisch -gerade mal noch ein sentimentales Märchen. Für das
Andreas Rank übrigens ein harmonisches, kunsthandwerklich einwandfreies Bühnenbild
fertigte.
Neues
Deutschland, 28. Februar 1995