2. Der schwere Anfang
(1905-1914)
Schauspielunterricht
2.2 Reinhardt will es wissen
Um die wider Erwarten
in Schwierigkeiten geratene Schule nach außen hin in ein besseres Licht zu
rücken, gewiß auch, um sein Engagement in aller Öffentlichkeit zu bekunden,
inszenierte Max Reinhardt drei Aufführungen seiner Schauspielschule im
Deutschen Theater, im Mai 1908 «Die Karlsschüler» von Heinrich Laube, im April
1910 «Die Weber» von Gerhart Hauptmann und im Juni des gleichen Jahres
gemeinsam mit Paul Legband Shakespeares «Sommernachtstraum» in einer
Freilichtaufführung im Föhrenwald bei Nikolassee.
Sein demonstratives
Interesse ließ nach, als ein Brief Reinhardts, den er am 3. Dezember 1909 an
den preußischen Minister der geistlichen, Unterrichts- und
Medizinal-Angelegenheiten schrieb, nicht den erhofften Widerhall fand.
Ungeachtet aller Probleme hatte er in diesem Brief ausführlich das
Programmatische seines Ausbildungsinstituts geschildert:
«Die Schauspielschule des Deutschen Theaters,
die mit Aufwendung großer Mittel sich in den vier Jahren ihres Bestehens zu dem
größten und ersten derartigen Institut in Deutschland entwickelt hat, bezweckt,
in sozialer und künstlerischer Hinsicht an der Hebung des Schauspielerstandes
mit zu arbeiten. Sie will den jungen Anfänger vor der Gefahr gewissenlosen,
unkontrollierbaren Privatunterrichts bewahren und ihm von vornherein eine
vielseitige, durch die Wahl der Lehrer verbürgte Ausbildung zuteil werden
lassen. Zu diesem Zweck ist für jeden Schüler die Absolvierung zweier
Jahreskurse vorgesehen, in deren erstem die körperliche und stimmliche
Ausbildung den Haupt-Unterrichtsstoff bildet, während im zweiten Schuljahr
durch Rollenstudium, Ensemblespiel,
Gertrud
Eysoldt im Schauspielunterricht
durch szenische Abende und öffentliche Aufführungen auf
der Bühne des Deutschen Theaters der Schüler soweit gefördert wird, daß er ein
Engagement antreten kann. Dabei ist es keinesfalls die Aufgabe der
Schauspielschule, nur dem "Deutschen Theater" in Berlin, sondern
allen deutschen Bühnen gut vorgebildete begabte Anfänger zuzuführen.» Und nun
führte er die Theater auf, an die er bisher Schüler vermittelt hatte. Dann
bekundete er die Absicht der Schulleitung, den Lehrplan weiter auszubauen,
wobei aber die «größeren Aufwendungen» nicht «durch wahllose Aufnahme zahlender
unbegabter Schüler gedeckt werden» sollen, was hieße, «den künstlerischen Ruf
und die moralische Existenz des Instituts» zu gefährden. Und er fuhr fort: «Je
ernster eine Theaterhochschule die Berufs-Vorbildung ihrer Zöglinge nimmt und
je mehr sie ihre Leistungen dem Urteil der Öffentlichkeit überläßt, desto
stärker muß der Wunsch sein, jeden "geschäftlichen" Charakter zu
verringern. Auch die Schauspielschule des Deutschen Theaters ist - als ein
Privatinstitut — einstweilen lediglich auf die Einnahmen aus den Schulgeldern
angewiesen.» Er stellte fest, die Schule habe «alljährlich aus eigenen Mitteln
einer größeren Zahl von begabten, armen Schülern halbe oder ganze Freistellen»
gewährt. Und er richtete an das «hohe» Ministerium die «ergebene Bitte, hier
helfend einzugreifen und der Schauspielschule jährlich ein oder zwei Stipendien
für arme, begabte, würdige Schüler gütigst aussetzen zu wollen».
Spätestens an dieser Stelle des Briefes wird
offenkundig, daß es Reinhardt nicht in erster Linie um diese ein, zwei
Stipendien gegangen sein kann. Er warb vielmehr selbstbewußt für das Ansehen
seiner Schule, aber auch grundsätzlich für die Ausbildung von Schauspielern.
«... eine staatliche Unterstützung», schrieb er, «würde in moralischer Hinsicht
von allergrößtem Werte sein und die Notwendigkeit einer guten
Schauspieler-Erziehung nachdrücklichst dokumentieren.» Er verwies auf das
Ausland: «In Paris genießt das Conservatoire dank der Fürsorge des Staates ein
für das ganze Land maßgebendes Ansehen, und erst kürzlich ist in Wien die von
der österreichischen Regierung seit Jahrzehnten
subventionierte Schauspielschule ganz verstaatlicht worden.» (2.18)
Reinhardts Brief löste eine Anfrage beim
Berliner Polizeipräsidenten aus, von wo mit Datum vom 25. Januar 1910 vom
Berichterstatter von Glasenapp verlautete: «Wenn mir über die Wirksamkeit der
Schule günstige Urteile zu Ohren gekommen sind, so stehen diesen auch
ungünstige gegenüber.» Nun wurde die Affäre mit Bergmann mitgeteilt, dann
jedoch zugestanden: «Richtig ist nun freilich, daß nach gelegentlich mir zur
Kenntnis gelangten Äußerungen aus Direktoren- und Schauspielerkreisen die
Verhältnisse in der Reinhardtschen Theaterschule sich seitdem erheblich
gebessert haben.» Auch wird dem Unterricht bescheinigt, entsprechend der
«Spielart im Deutschen Theater» durchgeführt zu werden, was freilich «je nach
dem verschiedenen Standpunkt verschieden» zu beurteilen sei. Dann heißt es weiter: «Unbedingt getadelt wird jedoch
noch jetzt, daß die Aufnahme der Schüler ohne Rücksicht darauf erfolge, ob es
sich um ein der Entwicklung fähiges Talent handele, daß der Unterricht bei der
Anzahl talentloser Schüler schablonenhaft sei und die künstlerischen
Individualitäten nicht genügend berücksichtige, endlich, dass der Direktor Reinhardt durch seine Tätigkeit als Leiter
des Deutschen Theaters so in Anspruch genommen sei, daß er dem Unterricht nicht
genügend Zeit widmen könne.»
Dem
Berichterstatter von Glasenapp schien es «unter den obwaltenden Umständen doch
bedenklich, die Schule durch eine staatliche Subvention auszuzeichnen, um so
mehr, als eine solche meines Wissens bisher noch keiner Theaterschule zu Teil
geworden ist.» Es wird die Vermutung ausgesprochen, Reinhardt werde eine
derartige Bevorzugung ausgiebig bekannt zu machen wissen, was Befremden und
lebhafte Berufungen anderer Theaterschulen hervorrufen würde. Genannt werden
namentlich die 1899 gegründete «Reichersche Hochschule für dramatische Kunst»
und besonders die «Marie Seebach-Schule». (2.19)
Staatliche
Unterstützung von Schauspielschulen war also 1910 in Deutschland nicht üblich.
Reinhardts Vorstoß blieb erfolglos. Er nutzte einen Wohnungswechsel, um ganz im
stillen wesentliche Veränderungen in der Arbeit der Schule zu veranlassen.
Alexander
Strakosch im Schauspielunterricht
Anmerkungen:
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