„Richard III.“ von Shakespeare an der Volksbühne Berlin, Regie Martin Kusejs

 

 

 

Mächtig gewaltige Klamotte

 

Ein dunkler Schlund nach rechts hinten, durch Neonlicht nur spärlich beleuchtet. Eine Gestalt tastet an der Wand entlang, sinkt vorn an der Rampe nieder, betet heuchlerisch: Bruno Cathomas, der den Richard gibt vom großen Briten. Bekleidet ist er mit zwei Hemden, das eine weiß und ärmellos, das andere braun und alsbald über der Hose hängend. Er kommt nicht dazu, seine berühmte Erklärung abzugeben und zu verkünden, daß er gewillt ist, ein Bösewicht zu werden. Ein Telefon klingelt! Irritiert sucht er und findet etliche Telefone im Bühnensand.

Dies der Auftakt in Martin Kusejs Inszenierung der Historie »Richard III.« von Shakespeare in der robusten Übersetzung von Thomas Brasch und der raffenden Bearbeitung von Martin Kusej und Matthias Pees. Der Regisseur (Jahrgang 1961, Studium der Literatur, der Sportwissenschaft und der Regie in Graz, dann u.a. in Klagenfurt, München, Stuttgart und Hamburg) will, das wird bald klar, nicht etwa vorführen, wie ein Diktator gemacht wird, wie ein teuflisch widersprüchlicher Held der Renaissance seine Stunde nutzt. Bei Kusej wird nicht einmal irgendein soziales Geschehen ablesbar, etwa Folgen brutaler Bürgerkriege. Mit fast sadistisch anmutender Lust wird abstraktes, ordinäres Theater gemacht und ein klassisches Stück Weltliteratur gehörig verballhornt.

Erstaunlich dabei, wie die Freude am Demolieren den Regisseur ästhetisch zurückführt zur rohen Manier der Schauspielerbanden des frühen 17. Jahrhunderts. Die Mimen boten damals Shakespeare in zusammengestrichenen Raub-Fassungen als wüste Haupt- und Staatsaktionen, in denen grausamer Aktionismus das erlebnishungrige Publikum lockte. Höhepunkte heute: Kopulationen - Eduards Witwe Anne lüftet schon geschäftig ihren Schlüpfer und Herzog von Gloster seine Hosen, noch bevor er seine infame Werbung vollendet hat; Blutrausch - Margaret, Elisabeth und Anne tanzen mit einem blutgefüllten Kinderwagen; Wasserschlacht - Richard und Richmond (Cathomas sowohl als auch) stellen sich dem Kampf rhetorisch aggressiv in strömendem Regen (Bühnenbild Martin Zehetgruber). Mächtig gewaltige Klamotte das.

Bei allem Verständnis für Kürzungen, selbst für abgegriffene Modernismen, vom Dichter vorgegebene Zusammenhänge sollten erkennbar, Ursache und Wirkung von Vorgängen nachvollziehbar bleiben. Jetzt findet Profilierung von Figuren kaum statt. Karin Mikityla gelingt es, für ihre Elisabeth eine Haltung zu finden, Würde, Gemessenheit. Peter Rene Lüdicke hat als Buckingham beredte Momente, etwa die stringente Art, wie er Richard auf dessen Versprechungen festlegt. Des Cathomas Richard, im Verlaufe des Abends immer weinerlicher und tuntenhafter, scheint ein psychisch Kranker zu sein. Daß er hin und wieder an den Fingernägeln knabbert, mag nichts bedeuten. Doch gegen Ende, am Ziel seiner Mordlust, schütteln ihn kurze epileptische Anfälle. Ein durch und durch sich selbst genügender Theaterschurke.

Edith Adam als Anne hat ihre große Schaffe, wenn sie ihren toten Eduard hereinschleift, ihm mit der Spitzhacke seine Wunden aufreißt und dann sich und Richard mit Blut beschmiert. Aber nicht Schauspielkunst ist gefragt, sondern ... siehe oben! Anschließend wackert sie noch wild mit dem Eisen herum. Die Szene bei König Eduard IV. (Roland Bracht) hat im haßerfüllten Gegeneinander bei Hofe - jeder mit Dolch in der Hand -kurz Faszination. Doch leider verliert sich das Spiel sofort wieder in Banalitäten. Königin Margaret erweist sich als glatzköpfig, weshalb sich alle von ihr abwenden. Die Mörder, absolviert von Hastings (Bodo Krämer) und Buckingham, ertränken Clarence (Paul Wolff-Plottegg) mit Wasser aus einem langen Schlauch. Nachdem der tote Eduard IV. vom Allzweck-Sofa nach vorn in den Orchestergraben wie in den Orkus weggerutscht ist, gibt's am Ort ein kurzes Meeting. Vertraulichkeit zwischen Richard und Buckingham. Alsbald wird Richard von Margaret besprungen, dann schleift er Rivers (Stephan Richter) an einem Seil herbei und stößt ihn hinab. Der Auftritt des Bürgermeisters (Paul Wolff-Plottegg) und des Kardinals (Roland Bracht), die beide von unten hervorkraxeln, scheint von der Regie zu einer gewissen Ortsbestimmung genutzt zu werden. Die beiden jodeln. Immer mal wieder. Und sonst?

Keine Spur vom gewaltigen Machtkampf zweier Königshäuser, vom Krieg der weißen und roten Rose. Bestenfalls das zeitlose Gaunerstück eines Einzelgängers. Zu wenig für Shakespeare. Viel zu wenig. Ein unerquicklicher Abend.

 

 

 

Neues Deutschland, 13. Dezember 1996