„The Black Rider“ von William Burroughs am Thalia-Theater Hamburg, Regie Robert Wilson

 

 

 

 

Guru Wilson hielt den Saal im Atem

 

Der Theatermagier aus Texas, Robert Wilson, eröffnete mit seinem deutsch-englischsprachigen Musical „The Black Rider" das Berliner Theatertreffen. Die Produktion vom Thalia-Theater aus Hamburg mit der lärmenden Musik von Rock-Idol Tom Waits (Texte: William Burroughs) ist modernes Jahrmarkttheater, ein gestyltes Konglomerat von Pantomime, Tanz, Mimik, Gesang und Artistik, vorgeführt im knallig lichtbunten Bühnenbild Robert Wilsons.

Wilson führt auch Regie. Er liebt den Menschen als Marionette. Dafür erfindet er die skurrilsten und ins Extrem getriebenen körperlichen Äußerungen. Manchmal verrätselt er seine Einfälle, oft bringt er sie auf den Punkt. Etwa, wenn der Stelzfuss (Dominique Horwitz) dem scheuen Federfuchser Wilhelm (Stefan Kurt) ein Zaubergewehr zuschiebt, und der in eine groteske Abhängigkeit von dem Schießeisen gerät.

Gespielt wird eine Schauermoritat nach der romantischen Volkssage „Der Freischütz" aus dem „Gespensterbuch" von August Apel und Friedrich Laun. Die Figuren entsteigen einem magischen schwarzen Kasten. Dann geistern sie mit exzentrischen Bewegungen durch die Fabel. Das Liebespaar zum Beispiel schwebt ob seiner Verzückung gar schwerelos in die Höhe. Am Ende steuert der Teufel die Kugel des Probeschusses nicht auf die flatternde Taube, sondern ins Herz der Braut. Und der Zuschauer kann als Hörer den verhexten Flug des Projektils verfolgen. Es zischt von der Bühne links über das Publikum hin, fegt über den Rang, stößt rechts wieder zur Bühne vor und trifft sein Ziel, das holde Mädchen, das nun langsam und gut sichtbar darniedersinkt.

Selbst alle möglichen akustischen Raffinessen sind eingesetzt. Totales Theater. Am Schluß verschwinden die Figuren lärmend wieder im schwarzen Kasten. Nur der Teufel nimmt sich Zeit. Er hat noch ein Solo. Ansonsten aggressiv in seinen Songs, leistet er sich eine sentimentale Attitüde nach Art eines Las-Vegas-Conferenciers. Tosender Beifall. Guru Wilson hat seine Gemeinde in Berlin.

 

 

 

Neues Deutschland, 4. Mai 1991