„Die kahle Sängerin“ von Eugène Ionesco am
Deutschen Theater Berlin, Regie Katja Paryla
Wenn des Menschen Sprache zu sinnleerem
Gestammel verkommt
Die für die Kassenhalle vorgesehene DDR-Erstaufführung des Anti-Stückes „Die kahle Sängerin" von Eugène lonesco wurde kurzentschlossen auf die Bühne des Deutschen Theaters verlegt. Das war richtig, wie schon die Entscheidung, das Werk gerade jetzt herauszubringen. lonescos absurde Menschen-Welt hat uns eingeholt. Wir konnten ihr nicht entrinnen. Jedenfalls hat die wirre, in wilde Auseinandersetzungen ausartende und mit sinnleerem Gestammel endende absonderliche Party zweier Ehepaare mit einem aus der Ferne kommenden, gleißend verführerischen Feuerwehrhauptmann überraschend aktuelle Bezüge. Regisseurin Katja Paryla hat sie aufgespürt.
Der Wechsel des Spielplatzes hatte auch
Nachteile. Was für einen kleinen Raum gedacht war, mußte sozusagen „großgezogen"
werden. Dabei geriet das Unternehmen über Strecken sprachlich undifferenziert
forsch und laut. Was sich freilich — da substantiell sehr präzis gearbeitet ist
— korrigieren läßt.
An der burlesken Komödianterie indessen
sollte festgehalten werden, obwohl der Autor womöglich damit hadern würde, lonesco,
der 1912 geborene Sohn einer Französin und eines Rumänen, hatte die Klischees menschlicher
Beziehungen verspotten wollen, das verlogene Darüberhin-Sagen der Wörter, die
automatisierte, geistlose Konversation. Phänomene, die die Soziologie
analysiert und die Kunst sichtbar zu machen vermag. Hier abgehandelt an zwei ganz
normalen bürgerlichen, allerdings englischen Ehepaaren. Mrs. und Mr. Smith, die
das banale Aneinander-vorbei-Reden beginnen, sollten bei lonesco die „englische
Abendunterhaltung" in „gutbürgerlichem englischen Interieur mit englischen
Fauteuils" vor „englischem Kaminfeuer" pflegen. Er in „englischen Pantoffeln"
mit „englischer Pfeife" eine „englische Zeitung" lesend, sie „englische
Socken" strickend. Erst nach einem „langen englischen Schweigen" und siebzehn
„englischen Schlägen" einer „englischen Wanduhr" sollte das Gaudi
beginnen — also äußerst distinguiert, mit vornehmer Kühle und trotz aller vertrackter
Querelen immer bemüht, gesellschaftliche Würde zu bewahren. Indirekte Komik
sozusagen. Just von daher holt die Regisseurin den Spaß nicht.
Katja Parylas Komik ist direkt. Sie ist —
denk ich mal — preußisch derb und österreichisch umgänglich zugleich, vor allem
aber von herrlicher Berliner Schnoddrigkeit. Was kein Nachteil ist. Was die
Hergänge naherückt. Die Spielmacherin geht geradezu hemdsärmelig vor. Sie
treibt die Dialoge sofort hoch und sucht Clownerie, die sich körperlich nicht
einschnürt, sondern auslebt. Eine possierliche Erfindung jagt die andere.
Auf einem Podest, nach vorn in den
Zuschauerraum gezogen, nach hinten und nach oben schwarz abgeschirmt (Bühnenbild
: Alfred Bernau/Hannelore Wedemeyer), gerät zunächst das Paar Smith aneinander,
oder besser: immer wieder aneinander vorbei. Das stupide Gerede etwa über Öl
vom Händler oder über den Handlungsreisenden Bobby Watson ist Anlaß zu furiosem
Groteskspiel. Simone v. Zglinicki, als Mrs. Smith glänzend disponiert,
marschiert resolut hin und her, immer mal wieder urkomisch beschäftigt mit
verrutschendem Kleid und allem, was sich darunter befindet.
Überhaupt ist beredte Körpersprache ein
Vorzug der Inszenierung. Udo Kroschwald als Mr. Smith hat eine hinreißend agile
Wendigkeit. Er ist mimisch genau, sinnlich kräftig, ohne äußerlich zu werden.
Dieser bullige, glatzköpfige Mr. Smith ist irgendwie pfiffig und doch ein
ganzer Pantoffelheld, wenn ihm die Regie auch keine Pantoffel zugestanden hat.
Von himmlischer Einfalt ist das Dienstmädchen
von Gabriele Heinz. Diese Mary tritt aber nicht nur deftig auf. Sie hat
sensible Zwischentöne. Wovon ich der Aufführung mehr gewünscht hätte. Dem
Erkennungsdisput zwischen Mrs. und Mr. Martin fehlt es an Sensitivität. Da
stellen zwei Menschen in einem absonderlichen Annäherungsgespräch fest, daß sie
im gleichen Haus wohnen und gar im gleichen Bett schlafen und also ein Ehepaar sein
müßten. Daß dies abstruse Abtasten von Beziehungen vornehmlich als Krakeel
abläuft, der wenig Nuancen zuläßt, ist schade. Und Johanna Schall und Sven-Eric
Just sind hier unterfordert.
Bombastisch der Auftritt des Feuerwehrhauptmannes:
Michael Schweighöfer. In einen Wasserschlauch eingewickelt, dessen Spritze
zwischen den Beinen baumelt, legt dieser hereinstolzierende Hüter des Feuers
mit schauerlich-pathetischem Aplomb ein erotisches Feuer zwischen die Paare.
Während sie sich in der Plauderei obenhin höflich mit Dusseligkeiten überbieten
— und die kahle Sängerin trägt immer noch die gleiche Frisur! —, gehen sie sich
lustvoll an die Wäsche. Ewige, nicht aufzuhaltende und auch nicht zu besiegende
kleinbürgerliche Verführbarkeit. Katja Paryla desavouiert sie mit komödiantischer
Verve, die ab und an wie in Tragik ahnender Bestürzung außer Atem kommt und neuen
Anlauf nimmt.
Hineinmontiert sind lonescos Texte „Die
Begrüßung" und „Szene zu viert" (Dramaturgie: Jörg-Michael Koerbl).
Das überrascht, paßt aber durchaus. Eva Weißenborn hat einen markigen Auftritt
als zwischen Ja und Nein hin und her gerissener Clown. Womit das schlimme Ende
eingeläutet wird: Die wenn auch groteske, aber immerhin stattfindende
menschliche Kommunikation löst sich völlig auf und verkommt zu sinnlosem
Gestammel. Welchen Vorgang Katja Paryla noch einmal deutlich ans Publikum
adressiert. Dies reagierte mit Blumen, Bravorufen und langem herzlichem
Applaus.
Neues
Deutschland, 13. Februar 1990