„Ein Schädel in Connemara“ von Martin McDonaghs im theater 89 Berlin, Regie Rudolf Koloc

 

 

 

Irische Kurzweil

 

Das theater 89, die kleine Bühne in Berlins Mitte, ist nach wie vor eine gute Adresse für zeitgenössische Dramatik. Dort kann neuerdings in deut­scher Erstaufführung ein »Schädel in Connemara« besichtigt werden, ein irisch-knorziges Stück des jungen Martin McDonaghs. Regisseur Rudolf Koloc hat es im Bühnenbild von Martin Fischer behut­sam drastisch in friedhöflich-schauerliche Szene gesetzt.

Den Iren wird als Nationalschwäche nachgesagt, aus der Wirklichkeit in die Fantasie zu fliehen als dem Ort des wah­ren Lebens. Und je fantastischer die Gren­zen zwischen Realität und Spinnerei ver­wischt sind, desto skurriler die Komik. In­sofern scheint sich Autor McDonaghs gründlich bei O'Casey, Behan, Synge und Beckett umgesehen zu haben. Seine Ge­schichte ist so abenteuerlich wie hinter­gründig.

Alle Jahre wieder gräbt der alte, noch rüstige Mick Dowd für Pater Welsh die Überreste von Dorfbewohnern aus, die vor sieben Jahren auf dem Friedhof beer­digt wurden. Das gibt Gerede. Was macht er mit den Schädeln, die er findet? Und warum scheut er sich vor dem Grab seiner Frau, die bei einem Autounfall unter Al­kohol ums Leben gekommen war?

Bernhard Geffkes kauziger Mick Dowd erwehrt sich tapfer der Fragen der schnapslüsternen Mary Rafferty, die An­gelika Perdelwitz als korpulent-trampeli­ge Alte herstellt. Er erwehrt sich auch der naiv-listigen Nachfrage des windigen Bur­schen Mairtin Hanlon, den Dirk Wäger als einen aufgedreht lockeren Vogel vorführt. Als die beiden Männer auf dem Friedhof buddeln und der Alte dem neugierigen Jungen einen gewaltigen Bären aufbindet, scheint die herrlich irisch-verquere Quas­selei trotz hübscher Details auf der Stelle zu treten.

Plötzlich wird es spannend kriminell. Im Grab seiner Frau findet Mick nicht einen Knochen! Irgendwer muss irgendwann das Grab geplündert haben. Beim makab­ren Schädel-Zerklopfen alsdann plaudert Mairtin alkoholisiert mehr aus, als er sollte, und gerät in Verdacht. Weswegen ihm Mick gehörig eins über die Rübe haut (hinter der Szene).

Unerwartet präsentiert Mairtins Bruder Tom, der Polizist, der gern als großer De­tektiv in die Dorfgeschichte eingehen möchte, einen Schädel mit kapitalem Loch. Tom, von Herbert Sand in dezenter Studie als ein staatsdienernder Ehrgeizling vorgeführt, möchte ein Geständnis von Mick, das der auch gibt, weil er glaubt, es gehe um den von ihm erschlagenen Mairtin. Doch der lebt! Arg lädiert zwar, aber der Sprache mächtig beschuldigt er seinen Bruder der Leichenschändung. Womit freilich noch immer nicht geklärt ist, ob vielleicht doch ein Mord damals... Mick jedenfalls will es nicht gewesen sein.

Zwei Stunden handwerklich solid ge­baute, höchst vertrackte Kurzweil aus dem irischen Westen, wo die Zeit gewaltig stehen geblieben zu sein scheint.

 

 

 

Neues Deutschland, 15. November 1999