Vorwort zu

Schauspielen

Handbuch der Schauspieler-Ausbildung

 

 

 

 

 

Im vorliegenden Handbuch haben Lehrkräfte versucht, Erfahrungen aus allen Bereichen der Schauspieler-Ausbildung niederzuschreiben. Es geschah dies zunächst einmal als ein längst fälliger Akt notwendiger Selbstverständigung. Was tun wir denn eigentlich? Wie machen wir das überhaupt: Schauspieler ausbilden? Ganz eigennützig lag uns daran, aufzubereiten, was nach rund dreißigjährigem schauspielpädagogischem Wirken an der Berliner Schauspielschule entstanden ist, sich bewährt hat und mehr oder weniger lebendig weitergegeben wurde und wird. Dabei geht es nicht um Geschichte, nicht um die Historie der 1905 von Max Reinhardt gegründeten Schauspielschule des Deutschen Theaters Berlin, die, ab 1945 zunächst am Theater weitergeführt, 1951 zur Staatlichen Schauspielschule Berlin umgebildet, nun bereits wiederum auf dreißig Jahre Entwicklung verweisen kann. Über die Geschichte dieser Ausbildungsstätte, ihre Verwurzelung im humanistischen deutschen Theater, ihre Tradition wie ihr Neuerertum wird gewiß später einmal zu schreiben sein. (1)

Hier sollen - und da ist Neuerung im Spiel - die gegenwärtigen schauspielpädagogischen Erfahrungen und Praktiken möglichst schlüssig und nachvollziehbar festgehalten werden.

Wir sahen neben dem eigennützigen Interesse vor allem drei Gründe für unser Unternehmen: Zum ersten verlangen die nationale Schauspielpädagogik und nicht zuletzt die nationale Theaterpraxis immer nachhaltiger nach einem Werk, das den heutigen Stand unseres schauspielmethodischen Wissens und Tuns zusammenfaßt. Die Schauspieler-Ausbildung existiert ja nicht isoliert vom zeitgenössischen Theater und vermag ihm durchaus auch Impulse zu geben, so wie sie ständig aus der lebendigen Theaterarbeit Anregungen empfängt, für die sie stets offen und dankbar ist. Zum zweiten scheint uns weiterer Fortschritt in der Schauspieler-Ausbildung nur noch möglich nach einer gründlichen, zusammenfassenden wie gliedernden Bestandsaufnahme und Selbstverständigung. Außer in Ottofritz Gaillards »Deutschem Stanislawski-Buch« (1947), Maxim Vallentins »Vom Stegreif zum Stücke« (1949) und in dem »Stockholmer Protokoll« (1969), wertvollen Versuchen und Beispielen, ist die Aufarbeitung dieses für die nationale Theaterentwicklung nicht unwesentlichen Wirkungsfeldes hierzulande faktisch noch nicht erfolgt. (2) Drittens schließlich glauben wir, rechtfertigen die guten Ausbildungsergebnisse an der Staatlichen Schauspielschule Berlin eine von den Praktikern dieser Schule ausgehende Verallgemeinerung. Wir erfinden nicht irgendwelche methodischen Postulate am grünen Tisch, wir legen im Grunde Rechenschaft ab über unsere Arbeit.

Wovor wir uns hüten ist, in irgendeiner Weise ein methodisches Dogma aufzustellen. Der Leser wird unter Umständen sogar ungehalten sein darüber, daß trotz des Versuchs vorsichtiger Systematik der heterogene Charakter des Buches überwiegt, daß sehr viele Freiräume geblieben sind, vielleicht besser »Spielräume« genannt. Hier muß der Leser mit dem Gedanken dazwischenkommen. Er ist angehalten mitzudenken. In der Schauspielpädagogik läßt sich am allerwenigsten etwas in Schema-F-Manier übernehmen. Alles muß durchdacht und verarbeitet, muß gleichsam verinnerlicht sein. Rezepte werden grundsätzlich nicht geliefert. Wo es so scheinen mag, ergibt es sich aus dem Problem und ist niemals Prämisse. Letztlich muß jeder interessierte Theatermann das hier Angebotene aus seiner Sicht prüfen, an seinen Erfahrungen messen und auf diese Weise versuchen, das in seine Praxis zu integrieren, was ihm wertvoll, brauchbar und vor allem ganz einfach richtig erscheint.

Uns ist sehr bewußt, welch außerordentlich komplizierter wie komplexer Prozeß die Ausbildung von Schauspielern ist. Nur mit Geduld, viel Behutsamkeit, noch mehr Umsicht und vor allem Wissen kann Ausbildung betrieben und schließlich mit stets größerer Klarsicht vorangebracht werden. Wir sehen daher keinen Grund, den Status der immerwährenden Entwicklung dessen, was wir festzuhalten trachten, irgendwie zu kaschieren. Am deutlichsten ablesbar wird das an der Terminologie der verschiedenen Beiträge. Der umsichtige Leser wird bald herausfinden, welche Begriffe durchgängig und mit gleichem Bezug in allen Beiträgen auftauchen. Von diesen Begriffen ist anzunehmen, daß sie sich in der schauspielpädagogischen Praxis allgemein durchgesetzt haben. Ob sie damit auch wissenschaftlich abgesichert sind, wird hier nicht erörtert. Allerdings wird angestrebt, ein eigenes originäres Begriffs-Repertoire anzulegen. In den Fällen, in denen neue Angebote gemacht werden, bleibt abzuwarten, ob das jeweilige Phänomen, das der Begriff meint, mit ihm relativ brauchbar erfaßt ist. Wie auch immer: Hier ist nach wie vor manches im Fluß, und das bürgt zumindest für Entwicklung. Denn dort, wo auf Begriffen herumgeritten wird, ist meist nichts mehr zu bewegen

Ohne Positionsbestimmung unseres Wirkens wäre kein Verständnis zu erzielen gewesen, weshalb entsprechende Beiträge vorangestellt sind. Die schauspieltheoretische Basis des Handbuches, insonderheit des Teiles über die schauspielmethodische Grundausbildung, das Improvisations-Seminar, bilden wissenschaftliche Erkundungen, die seit einigen Jahren an der Staatlichen Schauspielschule Berlin vorgenommen werden. Sie liegen zusammengefaßt in der Schrift »Improvisation und Schauspielkunst« vor. Daher konnte im hier gegebenen Zusammenhang von wissenschaftlicher Beweisführung weitgehend abgesehen und vor allem das methodische Material der schauspielpädagogischen Praxis aufbereitet werden. Die langjährige Erfahrung der Pädagogen spielt dabei immer wieder eine Rolle. Das wird besonders deutlich bei den Beiträgen über das Szenenstudium, wo die individuelle Handschrift neben dem methodisch Grundsätzlichen unabdingbar ist, also auch hier zum Ausdruck kommt. Die Ausführlichkeit, mit der dann die im weiten Sinne auch zur Schauspielpädagogik zählenden Unterrichtsdisziplinen zu Worte kommen, rechtfertigt sich dadurch, daß moderne Ausbildung ohne »Bewegen« und »Sprechen« schlechterdings unmöglich ist. Wie sehr diese Fächer unverzichtbarer Bestandteil der Ausbildung sind, wird mit großer Akribie deutlich gemacht. Dabei war es von Fall zu Fall nötig, bestimmte theoretische Überlegungen voranzustellen.

Natürlich wenden wir uns mit diesem Handbuch in erster Linie an die Leute vom Fach und all jene, die als Studenten der Schauspielkunst auf dem Wege sind. Letzteren vor allem wird das Buch ein wertvoller Ratgeber sein. Es wird zwar Notate im Unterricht nicht erübrigen, doch stets zu Vergleichen herausfordern und helfen, Erkanntes zu vertiefen sowie Neues zu erkennen und zu praktizieren. Auch der um Entwicklung bemühte Laienschaffende wird gewiß viele Anregungen finden. Schließlich soll das Buch allen am Theater Interessierten Auskünfte geben, speziell über die künstlerische Tätigkeit des Schauspielers. Es soll helfen, falsche Vorstellungen von diesem Beruf abzubauen. »Schauspielen« ist ganz und gar keine leichte Art, zu viel Geld zu kommen, es ist harte Arbeit, die - Begabung vorausgesetzt - erlernt sein will. Gewiß hat dieser Beruf, und das ist schön so, etwas Geheimnisvolles, Unwirkliches; erschließt er doch demjenigen, der ihn ausübt, wie sonst keinem fremde Menschen und Welten. Er gestattet, tief in die Geschichte menschlichen Hoffens und Strebens zurückzublicken, aber auch und zugleich leidenschaftlich teilzunehmen an den Schicksalen des Menschen gestern wie heute. Dieser eigenartige Zauber, die Möglichkeit, sich zu verwandeln, fiktiv zwar, doch gleichsam viele Leben zu leben, reizt in unseren Tagen zunehmend nach Selbstverwirklichung strebende junge Menschen. Auch ihnen soll unser Buch ein Ratgeber sein, vielleicht beim Entschluß, Leben und Persönlichkeit in den Dienst dieser jahrtausendealten, ewig jungen Kunst zu stellen.

Berlin 1981                         

 

 

 

Anmerkungen:

 

1     Eine Aufarbeitung der Geschichte liegt inzwischen als Buch (leider vergriffen) vor und kann hier links auf der TOC-Frame angeklickt werden.     Zurück zum Text

2     Diese Angaben des 1981 erschienenen Buches beziehen sich auf die Deutsche Demokratische Republik.     Zurück zum Text

 

 

 

Zurück