„Verfluchte Schlamperei“ von Jean Barbeau vom
Theater im Palast Berlin, Regie Jan Verbist
Deftige Farce mit Schuß
Das „Theater im Palast" ist durch alleinherrschaftliche
Entscheidung seines Domizils beraubt und erhebt Anspruch auf weitere Existenz.
Sein jüngstes künstlerisches Angebot dürfte schwerlich auszuschlagen sein. Das
Premieren-Publikum im „Jungen Theater" in der Schwiebusser Straße im
Berliner Stadtbezirk Kreuzberg — wo für Oktober ein Gastspiel möglich wurde,
denn in der Probebühne Oberwallstraße darf auch nicht gespielt werden — sparte
nicht mit Beifall.
Die deftig sozialkritische Farce „Verfluchte
Schlamperei" des Kanadiers Jean Barbeau, die die Truppe in deutscher
Erstaufführung zeigt, ist gewiß eher für die „Ossis" ausgesucht. Doch die
geradezu berlinisch kesse Art, in der sie der Belgier Jan Verbist inszenierte
und mit aktuellen Anspielungen kabarettistisch bereicherte, machte auch in
Kreuzberg Wirkung. Arbeitslosigkeit ist dort ein bereits vertrautes Thema.
Was Autor Barbeau urkomisch erzählt, ist am
Schluß wahrhaftig nicht mehr zum Lachen. Zwei Arbeitslose, Rudi Lang (Roland Hemmo)
und Fred Müller (Carl Martin Spengler), tragen ihr unverdientes Los bis zur
Pause noch hoffnungsvollen Gemüts. Doch danach werden sie zunehmend aggressiv. Erst
gegen sich selbst, dann gegen andere. Sie legen einen Polizisten, eine Dirne
(Gabriele Streichhahn) und Rudis Frau um und ballern schließlich wüst um sich.
Bestürzend, wie diese an sich harmlosen Kerle plötzlich
ausflippen. Fred ist einer, der zunächst Öko-besessen gegen den Müll ankämpft,
den die Leute einfach vor dem Haus auskippen. Rudi nimmt's nicht so tragisch. Aber
beider Müßiggang läßt sie halt auf herausfordernde Gedanken kommen. Zur
Überraschung hört die Polizei immer ein wenig mit. Als sie dann gar leibhaftig auftritt
(Jens-Uwe Bogadtke in schwarzer Uniform etwas zu verbiestert), wird das zum
Zündfunken.
Daß das Stück und damit der Abend ob solch böser terroristischer Wendung
ästhetisch nicht gänzlich wegkippen, ist den situationsgenau agierenden
Darstellern zu danken, besonders Roland Hemmo. Er spielt immer auch irgendwie
den total unschuldigen Clown, der seinem Schicksal ewig glücklos
hinterherläuft. Eine überragende Leistung im Komischen.
Neues
Deutschland, 22. Oktober 1990