„Schlusschor“ von Botho Strauß an der
Schaubühne Berlin, Regie Luc Bondy
Hinter darstellerischem Glanz verblasste die politische Brisanz
Die Schaubühne holt nach, was die Berliner
Theater bisher versäumten. Sie bringt Botho Strauß' historisches Schauspiel
„Schlußchor". Aber ich kann nicht umhin festzustellen, daß die Münchner
Uraufführung Dieter Dorns, gezeigt zum Berliner Theatertreffen 1991 (ND v. 11./12.
Mai 1991), politisch profilierter war.
Dorn entschlüsselte den Text so subtil wie
pfiffig als ein bissiges Pamphlet über autistische Wessis, die im Grunde auf
Deutschland sch..., sagen wir pfeifen. Luc Bondy, jetzt an der Schaubühne, verschafft
seinen Schauspielern vor allem Auftritte. Und die harsche Gesellschaftskritik
des Autors verliert sich.
Strauß erzählt vom westdeutschen
„Fußvolk", vertreten durch den Chor, just in den Tagen, in denen die Ostdeutschen
friedlich um ihre Freiheit rangen. Einer schreit euphorisch „Deutschland".
Ansonsten reagiert man ziemlich platonisch auf die Mauer-Öffnung. Und eine
Spätjungfer namens Anita von Schastorf, Tochter eines gewesenen Großgrundbesitzers,
ist mit der Vergangenheit beschäftigt. Sie kopuliert in eben dieser Zeit symbolisch
mit dem preußischen Pleitegeier. Womit der Autor unverhohlen fragt: Ist der
Schoß fruchtbar noch?
Anders als Dorn exponiert Bondy den Chor zum
Schluß noch einmal. Er verweist ironisch darauf, wie angelegentlich
die Wessi-Gesellschaft mittlerweile zur Tagesordnung übergegangen ist. Als sei
nichts geschehen, lassen sich die Leut' zum wiederholten Male fotografieren,
vergnügt sich selbstzufrieden bespiegeln. Und die Schastorf gehört dazu. Die
letzten Dämonen der Nachkriegszeit sind mithin nicht verscheucht. Dies, das sei
vermerkt, ein wichtiger Akzent bei Bondy.
Ansonsten, wie gesagt, Nummern für
Schauspieler. Was der Autor durchaus auch bietet. Zum Auftakt Otto Sander als
grantiger Fotograf. Er veranstaltet ein Blitzlicht-Gewitter, konterfeit den
Chor, hier eine gar nicht feierlich zum Betriebsjubiläum gekleidete Gruppe, sondern
eher schwätzende Angestellte irgendeiner Hinterhoffirma, die eben mal schnell
vom Büro herüber ins Fotostudio geeilt sind.
Dann, zweiter Teil: Zufälliger Guck des Herrn
Architekten Lorenz (Otto Sander) auf seine nackte Auftraggeberin Delia (Corinna
Kirchhoff). Aber die Ironisierung verlogener bundesdeutscher Prüderie
funktioniert nicht. Denn die Kirchhoff ist einfach zu drastisch real, zu
körperlich selbstbewußt, als daß die Ziererei glaubhaft würde, die der Text der
Figur vorschreibt.
Großer Auftritt Otto Sanders schließlich,
dritter Teil, im Etablissement der Delia (wo nebenher die Vorführung einer
Ansammlung fast schizophren-egozentrischer und kaputter
Gestalten stattfindet). Er spielt witzboldig die Story des liebestollpatschigen
Architekten, der, weil er bei Delia nicht landen kann, den Revolver nutzt, den ihm
der Zufall in die Hand spielt. Sanders Komik ist artistisch perfekt, gar keine
Frage. Aber müßte die bestürzende, tragisch endende Borniertheit dieses
Intellektuellen nicht prononcierter erzählt werden?
Dann hat Jutta Lampe ihren Part. In
einer mit schmuddeligen Fensterscheiben versehenen Gaststätte (Ausstattung
Erich Wonder) gibt sie die verschrobene, geistig zerrüttete Anita von
Schastorf, die ihre Mutter (Joana Maria Gorvin) in aller Öffentlichkeit zu beschimpfen
pflegt. Es geht da um die verlogene Aufarbeitung von Kriegsgeschichte, wie sie
aus feudaler Sicht nicht nur gelegentlich zu geschehen pflegt. Jutta Lampe zeigt
fast pathetisch ein geiles Frauenzimmer, das, sobald sich's machen läßt, einem
jungen Historiker an die Hose geht, obwohl der sie der Geschichtsklitterung
überführt. Sinnige Arbeitsteilung: Scheu aufkreuzende „Zonis" aus Friedrichroda
dürfen Swetlana Schönfeld und Uwe Kockisch vom Maxim Gorki Theater spielen.
Ein Abend, ich wiederhole mich, exquisiter
schauspielerischer Attraktionen, hinter denen die politische Dimension des
Stückes verblaßt. Das Publikum dankte mit viel Beifall.
Neues
Deutschland, 7. Februar 1992