„Schweyk“ von Bertolt Brecht am Berliner
Ensemble, Regie Manfred Wekwerth
Aktuell, aber den Text vom Blatt gespielt
Die für Mai vorgesehene Premiere des „Schweyk" von Bertolt Brecht im Berliner Ensemble hatte wegen Erkrankung des Hauptdarstellers verschoben werden müssen. Nun, zum Beginn der neuen Spielzeit, kommt die Aufführung reichlich trocken daher. (Und dies, obwohl die Schauspieler mit spürbarem Einsatz kämpfen, allen voran Hans-Peter Reinecke als Darsteller des Schweyk.) Das liegt wahrscheinlich daran, daß die Inszenierung ganz einfach überprobiert ist. Aber es liegt auch am Autor, auch am Regisseur.
Brecht hat das Stück nach dem Roman
von Hasek, ursprünglich als Musical konzipiert, 1943 in einem Monat
hingeschrieben. Als ein aktuelles Pamphlet gegen Hitler und seinen Krieg. Als
ein Beispiel auch dafür, was dem kleinen Mann in lausigen Zeiten übrigbleibt:
nicht aufzumucken, sich wegzuducken. Oder zu riskieren, unangenehm aufzufallen.
Schweyk handelt sich Zwangsarbeit ein, gar den Einsatz als Soldat vor
Stalingrad. Aber: Die mutterwitzige Geschwätzigkeit der Figur hatte schon immer
auch etwas Langstieliges. Und die epische Didaktik des Stückes - man pries sie
oder nahm sie hin ob ihrer aufklärerischen Neuheit, auch weil mit Hanns Eislers
Musik spürbar aufgemöbelt.
Mittlerweile schreiben wir 1991. Die
schweyksche Lebenshaltung scheint unter gewandelten Verhältnissen noch immer
aktuell. Doch wie spielen? Mäßig gekürzt zwar, aber nach wie vor Zeile für
Zeile? In zwar episch klarer, aber ausführlicher, heutzutage eher langweilender
Spielweise?
Ich spekuliere nicht gern: Bekäme die
Komödiantin Katharina Thalbach, heute Regisseurin am Schiller-Theater, einst
Schauspielerin am Berliner Ensemble, dies Stück in die Finger, sie würde, vermute
ich, die Texte heiß und dynamisch nehmen, die Songs hochreißen und an die
Rampe, statt gezirkelter Komik ursprünglichen Witz einbringen, jedenfalls alle
Beschaulichkeit meiden.
Wekwerths rational gründliches Herangehen
verleitete ihn zu überzeichnender Ausführlichkeit. Bühnenbildner Lothar
Scharsich ließ sich anstecken. Er operiert doch tatsächlich ohne erkennbaren
Sinn mit doppelter Brecht-Gardine, mit der realen vorn und einer aufgemalten
auf einem Vorhang dahinter. Und das Wirtshaus „Zum Kelch", wo
Konzentration auf zugespitzte politische Situationen zwischen Tschechen und
rivalisierender SS und Gestapo möglich sein müßte, baut Scharsich als mehrstöckige
enge Kellerkneipe, so daß ein ständiges Treppauf und Treppab Zeit raubt und
sich in den Vordergrund schiebt.
Der dann doch spielerische Höhepunkt
ist die Schlußszene. Beim Dichter trifft der fast verhungerte und erfrorene
Schweyk vor Stalingrad auf den Amok laufenden Hitler, auf den zu schießen oder
zu scheißen er überlegt. Bei Wekwerth ist der Führer eine riesige Marionette.
Sie entpuppt sich als Ratte (Simone Frost furios) und verschwindet im Orkus.
Schweyk triumphiert: Den sind wir
los! Er irrt. Im Hintergrund aufersteht der Diktator, wieder als
überlebensgroße Puppe, wieder in rotem Mantel, allgegenwärtig also, nicht tot
zu kriegen.
Und Schweyk, der kleine Mann, immerhin
noch einmal davongekommen, wendet sich einem Hund zu und singt melancholisch
die Weise von den Steinen, die am Grunde der Moldau wandern. Hans-Peter
Reinecke hat da eine Innigkeit, die anrührt. Überhaupt stemmt der Schauspieler
diesen schwierigen Abend. Er profiliert den Schweyk als gemütlich-kauzigen,
gelegentlich Hunde fangenden Clochard, der pfiffig und zäh, aber irgendwie auch
abgrundtief naiv seinen kleinen, aussichtslosen Privatkrieg mit den Besatzern
führt.
Seine Gegner: Bullinger, der süffisante
Scharführer der SS (Dieter Knaup), Brettschneider, der aalglatte Gestapoagent
(Michael Gerber). Seine Freunde: Baloun, der ewig hungrige Photograph (Axel
Werner), Anna, die taktierende Wirtin vom „Kelch" (Franziska Troegner).
Neues
Deutschland, 6. September 1991