„Das Schwitzbad“ von Wladimir Majakowski an der Berliner Volksbühne,
Regie Nikolai Petrow
In unbändigem Haß auf die Bürokratien allen Spielarten schrieb
1929 ein genialer Feuerkopf, Wladimir Majakowski, ein aggressives Spektakel,
„Das Schwitzbad". Dabei spritzte ihm die Tinte nach allen Seiten. Selbst
Unschuldige gerieten in Gefahr, eins abzubekommen. Aber das kümmerte ihn nicht.
Um die Karrieristen bloßzustellen, die sich nach dem Sieg der Großen
Sozialistischen Oktoberrevolution im Partei- und im Staatsapparat auf
verderbliche, die sozialistische Entwicklung hemmende Weise breit machten,
entwarf der Dichter Prototypen dieser Mißgeburten der Sowjetgesellschaft. Und
weil er nicht nur einen bestimmtem Bürokraten zur Strecke bringen wollte, sondern
auf einen Ritt die ganze Clique, bediente er sich der Groteske. Popedonossikow,
der Vorsitzende eines imaginären Koordinierungsausschusses, und sein Sekretär
Optimistenko, die beide eine epochemachende Erfindung — die Zeitmaschine —
sabotieren, stellen mithin die personifizierte Bürokratie dar, die zu
Charakteren verdichtete „Tendenz Schmarotzertum". Eine für die Bühne
zurechtgeknetete Tendenz verträgt nun allerdings keinen realen Gegenspieler,
etwa einen Funktionär der Partei, sie kann nur mit ebenso übersteigerten
theatralischen Mitteln geschlagen werden: hier durch die Zeitmaschine.
Gewiß hätte Majakowski die Bürokraten auch entlarven können, indem
er sie nicht durch die Parteiüberprüfung hätte kommen lassen. Womit zweifellos
die große Kraft der Partei, ihre Volksverbundenheit und Weisheit besser, weil
unmittelbarer zum Ausdruck gekommen wäre als jetzt, da die Gruppe um
Popedonossikow erst von der zum Kommunismus eilenden Zeit ausgespieen wird.
Aber dann hätte Majakowski ein anderes Stück schreiben müssen.
Der Effekt dieses Dramas mit Zirkus und Feuerwerk besteht den
Worten des Dichters zufolge gerade darin, daß es nicht nur — als
politisches Stück — radikal gegen Bürokratismus und Engstirnigkeit und für
sozialistische Perspektiven kämpft, sondern — als Theaterstück — ebenso radikal
gegen Kammerkunst und Mißbrauch von Psychologie. Das aber ist eine Absicht, die
sich dem deutschen Zuschauer nicht ohne weiteres erschließt. Er hört und sieht
ein Stück, das sich über gewisse ästhetische Regeln hinwegsetzt und bedenkenlos
mischt, was von Haus aus nicht unbedingt zusammenpaßt. Satire, Groteske,
Kabarett, Zauberei, phantastische Übertreibung, psychologische
Folgerichtigkeit, Komik, Tragik — alles ist recht, wenn es der Aussage dient.
Diese Form entstand also aus dem Kampf gegen ästhetisierende und proletkultistische
Einflüsse in der Kunst, die Majakowski zerschlagen wollte. Es besteht kein
Grund anzunehmen, daß der Dichter auch späterhin ein solches Stil-Konglomerat
gepflegt hätte. An dieser Stelle entspricht es allerdings genau dem
Inhalt.
Damit sind wir bei den besonderen Schwierigkeiten für eine
Inszenierung in der Deutschen Demokratischen Republik.
Eine Erscheinung der Gesellschaft, die Bürokratie, wird abstrakt
personifiziert und durch eine abstrakt-utopische Erscheinung, die Zeitmaschine,
ad absurdum geführt. Auf der Bühne bedarf auch das einer gewissen konkreten
Gestaltung. Dies wissend, projizierte Majakowski seine theatralische
Konstruktion in die Sowjetgesellschaft zurück. Es entstanden der imaginäre
Koordinierungsausschuß und psychologisch mehr oder weniger echt gezeichnete
Figuren. Das führte zwangsläufig zu Unebenheiten. Den sowjetischen Zuschauer,
der die historische Situation kennt, in der das Werk entstand, stört das
natürlich kaum. Der deutsche Zuschauer, derlei Theater ohnehin nicht gewöhnt,
findet sich nur schwer zurecht. Die Regie sollte daher eliminieren, was für
deutsche Verhältnisse nicht zutrifft und vom Wesentlichen ablenkt. So könnte
auf zahlreiche, heute unwirksame Repliken — zum Beispiel von Iwan Iwanowitsch
oder von Momentalnikow — zugunsten eines zügigeren Ablaufs verzichtet werden.
Professor Nikolai Petrow, der Gastregisseur aus Moskau, wohl der einzige
kompetente Interpret von Majakowskis „Schwitzbad", war in dieser Hinsicht
wohl von seinen deutschen Kollegen nicht immer bestens beraten.
„Das Schwitzbad" stellte für diese erste Gastregie ein ebenso
reizvolles wie schwieriges Werk dar. Und Petrows Absicht war richtig, die
Konzeption seiner Moskauer Aufführung grundsätzlich beizubehalten, nämlich
Bürokratismus, Karrierismus und dogmatische Engstirnigkeit angesichts des
stürmischen Vorwärtsschreitens der sozialistischen Gesellschaft tödlich zu
treffen, und dies vor allem auch durch den unbesiegbaren Optimismus des
Genossin Welossipedkin. Die Konzeption entspricht genau dem Anliegen des Autors
und wurde vom Regisseur, wenn man alle Schwierigkeiten recht bedenkt, in der
Volksbühne nahezu vollendet umgesetzt. Nahezu deshalb, weil einige Momente
einer noch mitreißenderen Aufführung im Wege stehen. Hier hat Professor Petrow
offenbar aus Freundlichkeit seinen deutschen Kollegen nicht genügend
widersprochen. Zum Beispiel dem Bühnenbildner.
Roman Weyl, einer der Talentiertesten seines Faches in
Deutschland, der — um Peter Edels Gedanken zu wiederholen — längst einen Preis
verdient hätte, Roman Weyl hat seine Konzeption in einem Punkt nicht genügend
durchdacht. Er baut eine wahrhaft phantastische Zeitmaschine. Und er trifft mit
dem zweiten Bild, dem Wartezimmer Optimistenkos, hervorragend den Sinngehalt
der Szenen, die sich in diesem Raum abzuspielen haben. Da gibt es nichts
Verstaubtes, kein überflüssiges Gerumpel, keine Kopierung eines bestimmten Einrichtungsstils; allein mit dem
eingeknickten Schreibtisch, mit den drei großen, bis zur Decke reichenden
Aktenstapeln und dem überdimensionalen Federhalter — alles auf ein großes
Bürobuch gesetzt — schafft er eine Bürokratenstube, die für eine deutsche
Inszenierung haargenau stimmt und wegen ihrer satirischen
„Selbstentlarvung" berechtigtes Entzücken hervorruft. Nicht so beim Arbeitsraum
Popedonossikows.
Den Popedonossikow läßt Majakowski im fünften Akt sagen, er
verwalte einen wahrhaft sozialistischen Winkel. In der Tat, dieser engstirnige,
dumme Beamte verwaltet nur einen Winkel! Er ist ein hohler Bürokrat, der sich
aufblasen muß, um Macht vortäuschen zu können, der Macht gewonnen hat, weil er
sich aufblies, der aber nur eine Stenotypistin zuerkannt bekam und im übrigen
sich nicht einmal selbst Fahrkarten bewilligen kann. Dieser Mann hat seinen
Amtsapparat über seine realen Machtbefugnisse hinaus aufgebläht. Wenn er nun
aber von Roman Weyl in ein komfortables, seiner wahren Situation
widersprechendes, einem bourgeoisen Generaldirektor anstehendes Etablissement
gesetzt wind, verliert er an innerer Dialektik. Und dem Darsteller wird
erschwert, ihn mimisch zu erledigen, die Karikatur realistisch genau
anzusetzen. Die Figur nimmt zwangsläufig einen etwas modifizierten Charakter
an. Sie geriet in diesem Fall um einige Grade zu intellektuell. Und die
Borniertheit zum Beispiel, mit der Kutscheras Popedonossikow mit dem Bildnis
von Karl Marx korrespondiert — übrigens großartig gemacht —, paßt schon nicht
mehr ganz zu diesem nunmehr zu durchtriebenen Schmarotzer. Ein Merkmal für die
unrealistische Lösung des Bildes ist der Mechanismus des Stuhles, der je nach
der Situation „besetzt" oder „frei" anzeigt. Das ist nichts anderes
als ein Mätzchen, das die Unklarheit des Bühnenbildners signalisiert.
Professor Petrow verdanken wir die Bekanntschaft mit dem
Theaterdichter Majakowski. Petrow erweist sich als ein feinsinniger, dezenter,
äußerst exakter, pointensicherer, realistisch empfindender Regisseur, der
derart in die Szene, in die Gestaltung des Dialogs verliebt ist, daß er
zuweilen den Verlauf des Ganzen etwas aus dem Auge verliert. Er hat keinem
Darsteller etwas aufgezwungen, er hat sie fast alle wunderbar gelöst, zu sich
selbst und zur Rolle geführt. Franz Kutschera zerfetzt die Gefühle nicht, er
hält sie unter Kontrolle, sie spielen nicht mit ihm, sondern er mit ihnen.
Kritisch schmeckt er jeden Satz gleichsam ab nach dessen enthüllenden Gehalt
und setzt ihn prall und saftig in den Raum, auf daß ihn jeder ebenso kritisch
konsumieren kann. Ein Augen- und Ohrenschmaus der ganze Schauspieler! Herbert
Grünbaum sodann, dieser liebenswürdige, warme, herzliche, ein wenig raunzende
Darsteller, gibt einen Optimistenko, daß man an der Figur seine helle
Freude hat und doch nie vergißt, sich von ihr zu distanzieren. Einzigartig, wie
er am Schreibtisch selig-vergnügt vor sich hin präludiert und sich seines
Daseins freut, wie er wieselflink die Treppen hinauf- und hinabwetzt und
schließlich wacker an der Frau der Zukunft vorbeidefiliert. Das ist große
Schauspielkunst, geweckt von einem großen Regisseur. Kaum minder sauber und
vital agieren Rolf Ludwig als Welossipedkin, Otto Tausig als Erfinder
Tschudakow, Edwin Marian als Arbeiter Foskin und Hannelore Schüler als
Stenotypistin Underton. Sie vollbringt — wie man zu sagen pflegt — ein
Kabinettstückchen. In weiteren Rollen Marianne Wünscher, Gerry Wolf,
Hans-Joachim Hanisch, Ursula Braun und Heinz-Werner Pätzold.
Christine Laszar, neu auf dieser Bühne, findet als
phosphoreszierende Frau, als Abgesandte aus dem Kommunismus, weder gestisch noch
sprachlich jene überzeugende Kraft, die gerade von dieser Frau ausgehen müßte.
Sie kommt eher geradenwegs vom Mond, der allerdings in diesem Falle selbst im
Jahre 2030 noch nicht von sozialistischen Menschen betreten wurde. Ihr fehlt
das Selbstbewußtsein eines Vertreters des siegreichen Kommunismus, die
Lebensklugheit eines Menschen aus dem Jahre 2030, der unerschütterliche Glaube
an die Kraft der Arbeiterklasse. Das alles ohne falsches Pathos darzustellen,
ist zweifellos schwer. Aber ganz ohne Pathos geht es auch nicht. Von der
großartigsten Sache der Welt — der Erstürmung des Kommunismus in bestürzend
kurzer, in rasender Zeit — wie von einer verlockend-ungewöhnlichen Ferienreise
zu sprechen, nimmt dem Stück viel von seinem revolutionären Elan und seinem
grenzenlosen Optimismus. Fehlbesetzung also einer gewiß begabten Darstellerin.
Die Gastregie hat das offensichtlich gespürt und einen Ausgleich
gesucht. Der Dokumentarfilm aber war das nicht. Dokumentarische Filmszenen, in
ein Theaterstück eingeblendet, in dem sie nicht von vornherein dramaturgisch
vorgesehen sind, ergeben in den meisten Fällen einen Stilbruch. Bilder von
Franco, von Hitler, von sengenden und brennenden faschistischen Truppen können
manchen Zuschauer an dieser Stelle verwirren. Selbst mit dem Sputnikhund werden
zum Teil Assoziationen geweckt, die mit dem Stück gar nichts zu tun haben. Und
die letzte, diese entscheidende, grandiose Szene hängt dann regelrecht in der
Luft, obwohl sie noch einmal die große Regiekunst Petrows offenbart. Ich werde
nie vergessen, wie die Madame Messallianssowa konsterniert im All herumhumpelt,
dem Popedonossikow schließlich eine letzte moralische Ohrfeige versetzt und wie
dieser dann endgültig zusammenbricht.
Trotz unserer kritischen Einwände: Wir sahen eine für die deutsche
Bühne außergewöhnliche Aufführung, die — unterstützt durch Hanns Eislers die
Mentalität des Stückes köstlich kommentierende Musik und Ernst Buschs
mitreißende Gesangskunst — die Gemüter noch lange bewegen wird. Und wer sich
von Majakowski getroffen fühlt, sollte über sich ein bißchen selbstkritisch
nachdenken. Vielleicht verordnet er sich dann „Das Schwitzbad" ein zweites
Mal.
SONNTAG, vorgesehen für
Nr. 7/1959, bereits gedruckt auf der Seite, aber kurz vor eigentlichem
Druckbeginn eliminiert und also bisher nicht veröffentlicht. Die Vorstellung
nach der Premiere abgesetzt.