„Der gute Mensch von Sezuan“ von Bertolt Brecht im Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Uwe Eric Laufenberg

 

 

Shen Te im Regen

 

Brechts Parabelstück »Der gute Mensch von Sezuan« aus den Kriegsjahren 1939/40 hat ein sehr eigenes lyrisches Flair. Zarte Empfindung, kluge Welterkenntnis und robuste Selbstbehauptung einer reizenden kleinen Hure, vermittelt mit dialektischem Witz in didaktisch epischer Abfolge. Das Werk ist zwar in Deutschland wieder höchst aktuell, aber seine Botschaft scheint in die soziale Landschaft nicht mehr recht zu passen. Jedermann weiß inzwischen zuverlässig, daß die Götter ihr Mäntelchen nach dem Wind gehängt haben und gute Menschen schon lange nicht mehr suchen, geschweige denn gebrauchen können.

Dennoch hat sich Hausregisseur Uwe Eric Laufenberg am Berliner Maxim Gorki Theater des Stückes angenommen. Was des Lobes wert ist. Auch, weil die junge Generation Anspruch darauf hat, Brechts pfiffig-theatrale Lektion über Mechanismen kapitalistischer Ausbeutung kennenzulernen.

Freilich traute der Regisseur der episierenden Parabel nicht und setzte auf deren dramatische Substanz, die er mit Textzusätzen zu aktualisieren und in die Hauptstadt zu rücken versuchte.

So wird zwar mit Brecht vom chinesischen Sezuan gesprochen, gespielt aber wird in Berlin, wofür Bühnenbildner Johannes Leiacker eine Straße mit Schlaglöchern installierte und als Shen Tes kleinen Tabakladen einen Verkaufskiosk hereinrollen läßt. Die Kostüme indessen, für die Jessica Karge sorgte, gehören weder nach Sezuan noch nach Berlin, sondern in ein dunkelbuntes Märchen. Der Regen nun wiederum fällt wirklich vom Schnürboden. Und vorn an der Rampe gibt es eine echte Pfütze mit Wasserspritzern ins Publikum.

Mithin: Der wenig werktreue Regisseur rückte das Stück weg von Brecht und hin zu gängiger, mal naturalistischer, mal singspielerischer Kurzweil. Wozu Paul Dessaus Musik in einer vereinfachenden Bearbeitung Uwe Hilprechts und diverse Jazz-Adaptionen per Saxophon einfunktioniert werden. Nicht präziser, beredter Umgang mit der Sprache ist gefragt, sondern Drive und Aktion. Wenn Shen Tes Begegnung mit dem Flieger Sun vom Geräusch des strömenden Regens übertönt wird, ist's allerdings nicht einmal mehr kurzweilig, sondern ärgerlich.

Der stilistischen Beliebigkeit der Inszenierung kann sich Katharina Thalbach weder als gute Shen Te noch als böser Vetter Shui Ta entziehen. Wenn sie, um ausgelassene Fröhlichkeit zu demonstrieren, auf der Anhöhe der Straße ein poppiges Tänzchen hinlegen soll, wirkt das eher fatal denn jugendlich anregend. Ihr Straßenkind ist naiv nicht mehr, vermittelt kaum den Zauber überraschender erster Liebe, hat dafür Energie und Kraft des erfahrenen Weibes. Den bösen Vetter Shui Ta, als der sich Shen Te ausgibt, der sie aus ihrer geschäftlichen Misere und von der dreisten Verwandtschaft erlösen soll, zeigt sie nicht etwa als anfangs unsicher und zögerlich, sondern a priori als resolut und herzlos.

Die Thalbach, meist von verraucht-versoffener und kehlig-krächzender Stimme, deftig eingesetzt für den grimmigen Vetter, verfügt auch über zarte, weiche Töne, verführerisch angewendet, sobald ihrer Shen Te in Suns Armen die Knie weich werden. Eine wandlungsfähige Komödiantin spielt ihre Figuren mit clowneskem Charme und mitreißender Leidenschaft in die Sympathie des Publikums.

Rainer Wöss ist am überzeugendsten als schöntuender Yang Sun. Wie bei Brecht bleibt offen, ob der gute Liebhaber letztlich ein guter Ehemann und Flieger geworden wäre. Als Angestellter und dann Chef in Shen Tes Firma überschaut er sehr bald, wie erfolgreicher gewirtschaftet werden kann.

Einen umtriebigen Wasserverkäufer Wang gibt Harald Schrott. Monika Hetterle macht eine gestreng-kalte Hausbesitzerin Mi Tzü. Renate von Wangenheim zeigt Suns Mutter als eine Frau von Herz. Heinz Kloss' Barbier Shu Fu ist von wahrhaft nobler Uneigennützigkeit. Hervorragend Ursula Werner als gehässig-hämische, dennoch hilfreiche Witwe Shin.

Die Götter übrigens, denen Shen Te Unterkunft gewährt und die ihr den Wohlstand ermöglichen, erscheinen zur Exposition als drei finstere Herren (Dieter Wien, Wolfgang Hosfeld, Ulrich Anschütz), die herumschleichen und -spähen, als hätten sie nebenher geheimdienstliche Aufgaben zu erledigen. Um so überraschender, daß sie am Ende, zur Aburteilung Shui Tas, als stramme PR-Cowboys der Tabakfirma »Only You« auftreten, zu deren Besitz es Shen Te gebracht hat. Und weil der unternehmerische, inzwischen gut mittelständige »Engel der Vorstadt« seiner mittellosen Verwandtschaft gleichsam als AB-Maßnahme Arbeit gab, ist es besonders schoflig, daß die Götter ihn im Stich lassen und sich zu himmlischer Reklame zurückziehen.

Allerhand Beifall zur Premiere. Buh-Rufe auch.

 

 

 

Neues Deutschland, 27. November 1998