„Sommer“ von Edward Bond im Maxim
Gorki Theater Berlin, Regie Carl-Hermann Risse
Fabriken funktionieren nicht durch Freundlichkeit
Vor der Erschießung durch ein Hinrichtungs-Kommando
der Hitler-Wehrmacht konnte das jugoslawische Dienstmädchen Marthe gerettet
werden. Xenia, die Tochter ihres Herren, hatte sich bei den Deutschen für die
Geisel eingesetzt. Vier Jahrzehnte später stirbt Marthe unrettbar an
Lymphdrüsenkrebs. Selbst ihr Sohn David, Arzt geworden unter der Volksmacht,
kann ihr nicht helfen. Die Sterbende nimmt noch Gelegenheit, Xenia, die aus
England zum Urlaub gekommen ist, ins Gesicht zu spucken. Für diesen symbolischen
Akt, scheint es, schrieb der Engländer Edward Bond sein Schauspiel
„Sommer".
Für Marthe bleibt Xenia die Vertreterin der
Ausbeuter, die zwar freundlich sind, aber ungerecht. Denn, sagt sie: „Fabriken
und Banken funktionieren nicht durch Freundlichkeit... wie die Besitzenden geartet
sind, ist für unser Leben nicht entscheidend. Sie dürfen nie die wenigen Auserwählten
sein - und wenn es die besten sind."
Derlei Botschaft, 1982 von Edward
Bond festgehalten und jetzt in der Studiobühne des Berliner Maxim Gorki Theater
verkündet, kommt daher wie ein anachronistischer Zug. Dies umso grotesker, umso
ungeheuerlicher, vergegenwärtigt man sich, was sich heute im einst unter Titos
Führung befreiten Jugoslawien ereignet. Marthe und Xenia, die Kontrahenten des
Klassenkampfes bei Bond, deren Kinder David und Ann in den 80er Jahren hoffen,
in ihrer Sommer-Liebe ein Kind gezeugt zu haben, stehen sich - nimmt man sie
als Realität -heute höchstwahrscheinlich in nationalistischem Hader gegenüber.
Aber nicht deshalb ist man ins Gorki Theater
gebeten. Carl-Hermann Risse inszenierte Bonds Schauspiel, weil er - vermute ich
- Aufmerksamkeit wecken möchte für Menschen, die, in ihrer Zeit, in bestimmte
soziale Verhältnisse geboren, sich schuldig machen aus der Sicht ihrer Widersacher,
sich selbst aber treu bleiben. Denn Gerechtigkeit ist stets die der Herrschenden.
Man muß da nicht unbedingt auf jüngste deutsche Geschichte
verweisen. So naheliegend Parallelen sind.
Marthe lebt seit Jahrzehnten ganz selbstverständlich
in einem Haus, das Xenias Vater gehörte, der enteignet und inhaftiert wurde,
als die faschistischen Eindringlinge vertrieben worden waren. Die deutschen
Offiziere waren bei dem jugoslawischen Fabrik-und Landbesitzer ein- und ausgegangen,
der den Okkupanten für ihre Erschießungen eine Insel verpachtet hatte.
Kronzeuge ist ein deutscher Urlauber (von Dieter Wien pointiert
charakterisiert), den es noch einmal an den Ort seiner „Heldentaten"
gezogen hat.
Die
vielschichtige Vergangenheits-Analyse Bonds, dessen Erinnerungs-Dialoge, erschloß
Carl-Hermann Risse ausgewogen, gelegentlich etwas episch-pathetisch zwar, insgesamt
aber sehr differenziert als sozial konkretes Spiel (der naturalistische
Mediziner-Rapport Davids allerdings gehört gestrichen). Nicht vordergründig gedrückt-dumpfe
Atmosphäre ist im Haus einer Sterbenden (Ausstattung Alexander Wolf), sondern
Wachheit und Aufgeschlossenheit der Beziehungen. Auch zwischen den Kontrahentinnen.
Ursula Werner
glaubt man die Marthe, die mit dem Leben abgeschlossen hat, keinen Streit sucht, ihren Sohn (Nils Brück) gern mit Ann
(Katka Kurze) zusammen sieht, dennoch tief innen das Gefühl ihrer sozialen
Demütigung nicht tilgen kann und daher - von Xenia herausgefordert - ihre Verachtung
ausspuckt. Und Anne-Else Paetzold glaubt man die geschäftstüchtige Bürgerstochter,
die natürlich am Elternhaus hängt, die Marthes Erkrankung echt berührt und die
dennoch die Schuld des ehemaligen Dienstmädchens nicht vergessen kann, das
damals ohne Grund gegen den Vater aussagte. Nur weil er ein Besitzender war...
Neues
Deutschland, 8. März 1993