„Sonntagskinder“ von Gerlind Reinshagen an
den Bühnen der Stadt Magdeburg, Regie Horst Ruprecht
Alptraum aus der Zeit des Faschismus
Das Schauspiel „Sonntagskinder" der
Schriftstellerin Gerlind Reinshagen aus der BRD zerfällt in über dreißig mehr
oder weniger aphoristische Szenen und Szenchen: ein Lebensmosaik aus einer
mitteldeutschen Kleinstadt der Jahre 1939 bis 1945. Die DDR-Erstaufführung von
Horst Ruprecht, mit der die Bühnen der Magdeburg „Maxim Gorki" in Berlin
gastierten, war ein wichtiger Beitrag zum 2. Nationalen Theaterfestival.
Die 1926 geborene Autorin, Apothekerstochter, schrieb, auch ein wenig autobiographisch, naturalistisch Episoden über Schicksale insbesondere junger Menschen während des faschistischen Krieges. Kinder wachsen heran, werden zu Krüppeln, geistig oder körperlich — oder aber sie kommen um. Die Dramatikerin sucht keine realistische Tiefe, forscht nicht nach sozialen Ursachen. Sie stellt einfach fest, beschreibt. Doch angesichts des Themas genügt detailgetreue Gründlichkeit, um zu erschüttern.
Stücktragend ist Elsie, die Tochter des
Apothekers Wöllmer, quirlig-ungelenk und einfühlsam gespielt von Kathrin
Waligura. Elsie erlebt des „Frühlings Erwachen" auf grausame Weise. Sie
hatte mit einem Gefreiten Briefe ausgetauscht. Der durch eine Explosion im
Gesicht entsetzlich entstellte, jedoch genesene junge Mann kommt, seine
Brieffreundin zu suchen, und findet — ein Kind. In wilder Enttäuschung vergeht
er sich brutal an Elsie. Und seitdem lebt sie am Rande des Irreseins.
Dies die prägnanteste Episode. Um sie herum,
sich kreuzend, andere zeittypische Lebensbilder. Nolle, der von den Mädchen umschwärmte
Sohn des Schuldirektors Rodewald, kehrt als Invalide im Rollstuhl zurück. Noch immer
fanatisch, wird er von Al-muth umsorgt. Lona, Wöllmers Dienstmädchen,
lebenskräftig, den Männern zugetan, irrt in einer Bombennacht aus dem
schützenden Keller ins Inferno. Elsies Freund Metzenthin, Praktikant bei
Wöllmer, politisch ahnungslos, wird zum Denunzianten.
Letzte Szene im Keller der ausgebombten
Apotheke, die erste des Friedens: Die Witwe Wöllmer heiratet den Schuldirektor.
Zerstörung rundum zwar, doch schon wieder kleinstädtisch-bürgerliche Harmonie in
allgemeinem Vergessen. Da stößt Elsie in einem Anfall kreatürlichen Protests
mit einer Schere auf den in einem Trachtenanzug friedfertig-zivil erschienenen
General ein. Worauf sie in ein Kleid wie in eine Zwangsjacke gesteckt wird.
Kriegsschicksale Jugendlicher als ein
Alptraum. Mahnung noch immer. Des Regisseurs Einfall, die Begebnisse durch
einen Laufsteg näher an die Zuschauer heranzubringen, überzeugt leider nicht.
Er zerreißt eher, was ohnehin nur lose zusammengefügt ist und durch lakonische,
verdichtende Intensität gespenstisch-bedrückendere Ausstrahlung hätte haben
können.
Das Ensemble ist vorzüglich besetzt. Neben
Kathrin Waligura zu nennen Ute Loeck (Lona), Sabine Arnhold (Frau Wöllmer), Susanne
Bard (Almuth) und Jutta Langhoff (Frau des Generals). Eindrucksvoll auch Lutz Mücke
(Gefreiter), Dirk Schoedon (Nolle) und Ronald Küste (Metzenthin).
Neues Deutschland, 22./23. April 1989