„Stella“ von Goethe an der Schaubühne Berlin, Regie Andrea Breth

 

 

 

Bleierne Liebesmystik

 

Zum Auftakt schreibt ein kleiner Junge schön brav »es war einmal« auf den Vorhang der Berliner Schaubühne, so daß man, verführt zu Naivität, Goethes »Stella« als ironisch verfremdetes Mär­chen erwartet. Doch dann taucht eine sorgfältig verhüllte Frauengestalt ge­spenstergleich aus dem finsteren Nichts auf (Jutta Lampe als Cäcilie), und man ahnt alsbald: Hier wird eine todernste Angelegenheit todernst abgehandelt wer­den.

Und tatsächlich: Arrangeurin Andrea Breth, an sich noch Regisseurin am Hau­se, findet keine kritische Distanz zu dem Text, schon gar keinen souveränen Draufblick. Im Gegenteil, sie verheddert sich tief in Identifikation, als müsse sie des Geheimen Rates Korrektur an dem Stück nachträglich und ausdrücklich bestäti­gen.

Bekanntlich hatte der junge Dichter mit seiner ersten Fassung aus dem Jahre 1775, die er »Schauspiel für Liebende« nannte, jugendlich-keck die »sittenlosen« Verhältnisse eines Mannes zu zwei Frau­en durchgespielt und die drei Verliebten am Ende sogar zur Ehe zusammenge­führt, wie das Graf von Gleichen (begra­ben mit seinen zwei Frauen im Dom zu Erfurt) den Deutschen vorgemacht hatte. Aber was sich ein Feudalherr heraus­nimmt, darf in der Kunst nicht unbedingt als Beispiel hingestellt werden. Goethe jedenfalls handelte sich seinerzeit har­sche Kritik ein, weshalb er 30 Jahre später, um den sozialen Normen Genüge zu tun, sein Drama in ein Trauerspiel um­arbeitete, in dem sich der reuevolle Fernando per Pistole und die liebesgeschädigte Stella per Gift umbringen. Wie sich das zur Erbauung des Hofes und aller seiner Schranzen gebührte.

Zu solch zopfiger Pseudotragik des konformwilligen Weimarer Dichters woll­te sich Frau Breth denn doch nicht be­kennen. Sie läßt die Liebenden leben und schließlich, einträchtig händchenhaltend, tiefsinnig ein schmales, hell beleuchtetes, mit blanker Kugel geschmücktes Bächlein blicken. Obwohl sie sich also für den uto­pisch-romantischen Schluß der ersten Fassung entschied, begibt sich bei ihr auf zunehmend dunkler Bühne ein melodra­matisches Trauerspiel von lastender, bleierner Liebesmystik. Das ist auch des­halb befremdlich, weil jedermann weiß, wie lebensleger heutzutage mit Liebes-Angelegenheiten umgegangen wird.

An dieser Stelle kann ich mir nicht ver­kneifen, an Alexander Längs ironisch pointierte Inszenierung aus dem Jahre 1986 im Deutschen Theater zu erinnern. Nicht nur, daß damals mit Goethes Text im Munde verblüffend normale Menschen handelten und auf der Bühne wirklich szenisch etwas vom Glücksanspruch von Frauen erzählt wurde, Lang - mit Sinn für Widersprüche - deckte die Komik des

Falles auf. Hatte dieser windige Fernando doch am Ende wider Erwarten statt einer zwei Frauen am Hals - was ihn viel är­gerlicher traf als der Zwang, sich für eine von ihnen entscheiden zu müssen! Da war gewitzt kritischer Zeitgeist im Spiel, und das Stück funktionierte, war lebens­fähig.

Jetzt scheint es, als müsse endlich be­wiesen werden, welch lebender Leich­nam Goethes »Stella« eigentlich ist. In einem abstrakt-sterilen Spielraum mit ro­mantisierendem Hintergrund (Bühnen­bild Arwed D. Gorella) und mit akusti­schen Untermalungen, die ein gnadenlos ablaufendes Opfer-Ritual zu assoziieren scheinen, zelebriert Frau Breth mit ihren Schaubühnen-Darstellern Corinna Kirchhoff (Stella), Jutta Lampe (Cäcilie) und Michael König (Fernando), alle drei ge­schult im gepflegten Predigerton, eine seltsam hehre, sich andauernd tragisch gebärdende Gefühlsspielerei, die vorder­gründig rhetorisch bleibt, weil es Bered­samkeit des Vorgangs nicht gibt. Die stereotype Diktion hängt wie eine Maske über den Texten. Da Frau Breth die sta­tuarischen Rede-Passagen obendrein mit Pantomimik in Zeitlupe und allerlei schö­nen leeren Posen zerdehnt, findet letztlich eine dreistündige, mit konventionellen theatralen Gebärden verzierte große Sal­baderei statt.

Mit realen Gesten wartet Swetlana Schönfeld auf, die die muntere Postmei­sterin gibt, Jana Becker, noch frisch, überdreht die Aufgewecktheit ihrer jun­gen Luzie. Doch hat es im Disput mit dem Vater, den sie noch nicht kennt, sogar Momente, in denen formale Theatralik verdrängt wird und glaubwürdig Leben durchscheint. Zu wenig allerdings, um den Abend zu legitimieren.

 

 

 

Neues Deutschland, 2. März 1999