„Tod und Teufel“ von Peter Turrini im
Schiller-Theater Berlin, Regie Alfred Kirchner
Pfarrer Bley auf der Suche nach der Sünde
Aus dem Schnürboden baumelt eine Schlinge. Kleinstadtpfarrer Christian Bley ist im Begriff, sich zu erhängen. Er will aussteigen aus dieser Welt. Der Mesner und der Sekretär des Bischofs reden auf ihn ein. Da steckt er ein Bein in die Schlaufe, läßt sich baumeln und lacht sarkastisch. So schnell sollte man sich nicht selber abwickeln. Bley begibt sich erst einmal auf die Suche nach der Sünde in der Hauptstadt. Und wird fündig, ohne es recht zu begreifen.
Am Schiller-Theater gelang dem Regie führenden
Alfred Kirchner, gewisse dramaturgische Schwächen des neuen Stückes von Peter
Turrini mit klug forciertem Spiel vergessen zu machen. Ich sah nicht die
deutsche Erstaufführung von „Tod und Teufel" unter Wilfried Minks am
Schauspielhaus Hamburg, aber wenn es noch irgendwo in Deutschland politisches
Theater gibt, dann bei Turrini, dann in dieser engagierten Inszenierung an der
Berliner Staatsbühne.
Der Autor, das ist aus jeder Replik zu
spüren, kennt die soziale Realität, kennt Waffen- wie Sexgeschäft, kennt
Drogensucht wie Sensationslust der Medien, und dies nicht nur in seiner
österreichischen Heimat. Was er in seiner Kolportage zusammengetragen hat, ist ein
episodisches Kaleidoskop, eine Mischung von pornographischer Karikatur und
gepfefferter Satire.
Der Ausflug des Pfarrers Bley in die
Vagina der Ladendiebin Magda Schneider (hervorragend Anneliese Römer), seine
aufopfernde Liebe zum arbeitslosen Rudi, der gern mit seiner FN-Browning um
sich schießt, seine Hilflosigkeit gegenüber dem Leben — sprich Waffenhandel —
bis hin zum irren Entschluß, sich selbst zu kreuzigen, das alles ist im
einzelnen nicht immer motiviert, aber wahrscheinlich, nur zu wahrscheinlich.
Turrini polemisiert gegen Bleys pathetisches Davonschleichen. Er macht es
lächerlich. Aber hätte Christian eine Chance zum Helden? In der konzertierten
bürgerlichen Gesellschaft ist gegen die Sünde nicht anzukommen. Zum Beispiel
beim Waffengeschäft. Der Autor führt mit Walter Leschitzky einen Waffenhändler
vor, der ein Maschinengewehr verkauft, das unfehlbar ins Auge des Gegners
trifft. Und dieser Leschitzky hat seine Verbindungen zum Verteidigungsminister,
zum Sensationsjournalisten, zur Geistlichkeit.
Eine der beklemmendsten Theaterszenen
dieser Saison: Das Jagdmahl des Waffenhändlers in seiner Penthauswohnung. Die
Opfer: ein Iraner, zwei Ägypter, ein Türke, ein syrischer Rosenverkäufer, ein
Kurde. Jeder Leiche ist ein Auge durchschossen. Aber die neue Waffe, die sich
auf Rassen programmieren läßt, hat noch einen Funktionsfehler. Auch ein Weißer
ist unter der Beute. Doch keine Aufregung deswegen. Der Lapsus wird gefunden
werden. Ansonsten wird vornehm gespeist. Alles läuft ab wie im normalsten
Alltag. Sünde?
Die Szene bekommt ihre anklagende
Schärfe durch präzise Lakonie der Regie und durch ausgezeichnete Darstellung.
Oliver Stern gibt dem Leschitzky eine fiese Umgänglichkeit. Aufgeräumt schiebt er
seinen Bauch vor sich her, tänzelt breitbeinig in seiner Leibesfülle. Der Satan
in Menschengestalt. So sieht er heutzutage aus. Und so agil ist er, so gar
nicht totzukriegen.
Wie armselig dagegen Pfarrer Bley.
Sein Glaube gibt ihm keinen Halt mehr. Gegen Leschitzky steht er auf verlorenem
Posten. Dieter Montag spielt denn auch einen eher scheuen, in sich gekehrten
Mann, der abstumpft und schließlich hoffnungslos zunächst zum Rauschgift und
dann zur Selbstkreuzigung greift. Zu nennen noch Dagmar von Thomas als gewesene
Filmdiva Hahn, Ulrich Noethen als Rudi.
Eine streitbare Aufführung. Anhaltender
Beifall im Schiller-Theater.
Neues
Deutschland, 17. April 1991