„Der Totentanz“ von August Strindberg im
Theater im Palast Berlin, Regie David Leveaux
Entlarvende Episoden aus einer bürgerlichen Ehe
Der schwedische Dramatiker August Strindberg
hatte sich als Spielort für sein Ehe-Horrordrama „Der Totentanz" das
Innere eines runden Festungsturms aus Feldsteinen gewünscht. Gedacht war das
als Symbol für Isolierung und tragische Verlorenheit, als ein Verlies gleichsam
mit Leichen unter den Dielen und Haß in allen Mauerritzen.
Im Theater im Palast in Berlin, wo der erste Teil des Stückes vorgeführt wird, ist das bieder-karge Wohnzimmer eines mittleren Herrenhauses aufgebaut (Bühnenbild: Matthias Stein). Damit wird Strindbergs Symbiose des Naturalistischen und Symbolischen von vornherein ins Alltägliche aufgelöst. Und der „Geschlechterkampf" des Silberhochzeitspaares Edgar und Alice assoziiert nun nicht mehr Ausweglosigkeit, er bekommt einen sozusagen verständnisinnigen Zug. Doch vielleicht ergibt das just das Quäntchen Zuneigung, um derentwillen diese Leute auch uns angehen.
Strindbergs Drama allerdings erklärt sich aus
seiner Zeit. 1893 hatten sich Freud und Breuer über den „psychischen Mechanismus
hysterischer Phänomene" geäußert. 1895 folgte ihr Buch „Studien über
Hysterie". 1900 vollendete Strindberg sein Stück, das ein literarischer
Beitrag zu den Psychologieentdeckungen und -debatten seiner Zeit zu sein scheint,
ein hysterisch-satanisches Endspiel bürgerlicher Ehe. Doch in dem
psychodramatischen Aufriß eines fünfundzwanzigjährigen Zusammenlebens werden auch
allgemeingültige Züge der bourgeoisen Gesellschaft bloßgelegt.
Edgar, der alternde, erkrankte Militär der
schwedischen Festungsartillerie, hat die Kunst des Lebens so verstanden:
Eliminieren! Das heißt, durchstreichen und weitergehen! Er hat geherrscht, wenn
der andere, schwächere, sich beherrschen ließ. Mit solcher Lebensweise hat er
seine Seele versteinert — und war wohl gerade darum der rechte Partner für die
nicht minder herrschsüchtige ehemalige Schauspielerin Alice, seine Frau.
Diese ist von ihm nicht losgekommen. Seine
Demütigungen gehörten zu ihrer Liebe. Wäre ihr Mann nicht der Robustere gewesen,
so hätte sie ihn grausam getreten, wie sie das kaltherzig mit Kurt tut, dem
Freund, der sich ihr offenbart und den sie sofort zu ihrem Hasardspiel gegen Edgar
mißbraucht. Sie will ihren Mann vernichten — aber noch ist er der Stärkere, der
schließlich, erschöpft zwar, aber souverän, ein vorläufiges Sichabfinden arrangiert.
Gastregisseur David
Leveaux aus Großbritannien versuchte sich erstmals an einem Drama des Schweden.
Er hielt sich mit Wertungen zurück und überließ die Figuren ihrem Schicksal. So
erreichte er ein Abbild, nicht das Sinnbild, und nur redliche
Charakterisierungen. Diese Geradlinigkeit in der Handlungs- und Schauspielerführung
erzeugt Langatmigkeit in Szenen, in denen der Atem stocken müßte.
Ekkehard Schall,
Schauspieler Brechtscher Schule und gewohnt, Figuren zu zeigen, sucht sich der Figur
des Edgar, dieses halbirren Berserkers, dem nichts wert ist außer seinen
Gewehren und Kanonen, in ihrer ganzen Ungeheuerlichkeit zu nähern. Triebhaft protzig
wütet da ein Kerl, der, gleichsam in sich eingesperrt, nicht herauskommt aus
seinem hohlen Renommistentum. Automatisch stramm und untertänig marschiert er
zum Dienst, wenn die Fanfare ruft, heuchelt, prahlt und tyrannisiert er, sobald
Helm und Degen abgelegt sind. Die hektisch-belfernde Sprechweise Schalls
spiegelt die seelische Verkrampfung dieser senilen Militärmaschine. Gelöst
wirkt Edgar am Schluß, wenn er seinem Weib Versöhnung anbietet.
Vera Oelschlegel ist eher die gequälte,
vereinsamte, duldende aparte Ehefrau, denn die niederträchtige, häßlich
gewordene Tyrannin. Hans-Peter Minetti gibt verhalten, in schlichter, herzlicher
Gestaltung den Vetter. Nicht mitzuhassen, mitzulieben ist dieser Kurt da —
Verlebendigung einer zwar zaudernden, aber lauteren Menschlichkeit: eine Möglichkeit
und Hoffnung auf dieser vom Meer umtosten Insel des Despoten Edgar.
Neues Deutschland, 19. Juli 1985