„Totentanz“ von August Strindberg am
Deutschen Theater Berlin, Regie Alexander Lang
Totentanz einer Liebe
Gewiß: Dieser Edgar, Hauptmann der schwedischen Festungsartillerie, und Frau Alice, die ehemalige Schauspielerin, sind uns nicht eben nah. Als August Strindbergs 1901 geschriebenes Stück „Totentanz" 1985 im Theater im Palast zur Aufführung kam, hatte der britische Regisseur David Leveaux den „Geschlechterkampf" des Silberhochzeitspaares, bei Strindberg eine Symbiose des Naturalistischen und des Symbolischen, ins Alltägliche aufgelöst. Alexander Lang inszenierte jetzt am Deutschen Theater in stilvoller theatralischer Distinktion das Sinnbildliche.
Obwohl Lang immer wieder auf Distanz geht und
Identifikation nicht zuläßt, benennt er doch auch das Allgemeingültige, das uns
durchaus noch interessiert. Indem er das abstoßende Beispiel schonungslos
zeigt, fordert er auf, das Verhältnis des Menschen zum Menschen, insbesondere
auch das zwischen Weib und Mann, natürlich und menschlich zu gestalten. Der
Sozialismus erst bietet dafür die realen gesellschaftlichen Bedingungen.
Das diskret überhöhte, minutiös genaue, die
Charaktere sezierende Spiel in Langs realistischer Inszenierung ist von
außergewöhnlicher Faszination. Der Ort (Bühnenbild: Volker Pfüller) assoziiert Wohlstand
— ein dezent ausgeleuchteter exklusiver Wohnraum (Licht: Hilmar Koppe). Kein Festungsturm
aus Feldsteinen also. Strindberg wünschte sich eine schäbige Uniform Edgars.
Hier sind auch die Kostüme modisch und schick. Der Schein wird gewahrt. Vom
fehlenden Geld wird nur geredet.
Überhaupt: Die wohlgesetzte Rede ist die
Hauptwaffe in dieser Eheschlacht. Edgar ist ein wahrer Meister des freundlich-salbungsvollen
Wortes. Christian Grashof schmeckt die Sätze ab, verteilt sie genußvoll,
gewitzt, schelmisch. Er ist nicht einmal ordinär, wenn er laut wird. Grashofs
Edgar schreitet herrisch-hochaufgerichtet, mit steifer militärischer Grandezza.
Selbst die wechselnden Herzanfälle bewältigt er mit Art. Hinter den vollendeten
bürgerlichen Umgangsformen wird menschliche Leere sichtbar, tötende Einsamkeit.
Edgar, der Berserker der Seele, kann barmen wie ein Kind.
Fünfundzwanzig Jahre haben sie
zusammengelebt, sich auch geliebt. Es ist durchaus noch zu spüren, in Momenten
der Berührung, des Sichtrennens. Wirklich zueinander gefunden haben sie nicht.
Katja Parylas Alice agiert in der erhaben-mondänen Pose der noch immer
ambitionierten Schauspielerin. Ihre hochherrschaftliche Attitüde gibt sie nie preis,
hält sie fest wie eine Maske, hinter der sie ihre unheimliche Bosheit verbirgt.
Mit kalter Raffinesse verwickelt sie Freund Kurt in ihren Ehekonflikt. Dieter
Montag gibt diesen auch von Edgar gebeutelten Mann mit Anstand als einen
lauteren Charakter, der die widerlichen Angriffe mit salomonischer Lebensgeduld
kompensiert.
Hoffnung liegt bei den Kindern. Zunächst
freilich ist Edgars Tochter Judith, gespielt von Katrin Klein, kalt und radikal
wie ihre Eltern, tyrannisiert Allan, Kurts Sohn. Der ist rettungslos verliebt,
quält sich, wehrt sich. Frank Lienert gibt akkurat einen ausgelieferten,
dennoch stolzen Allan. Erobert er damit diese Judith? Sie öffnet sich plötzlich
ihren Gefühlen für den Jungen und durchkreuzt damit den ehrgeizigen Plan ihres
Vaters, sie mit einem alten Oberst zu verheiraten. Diesen Schlag überlebt Edgar
nicht.
Alexander Lang hat die beiden Teile des
Stückes geringfügig bearbeitet. Vielleicht geht dabei ein wenig von Strindbergs
peinigender Selbstquälerei der Figuren verloren. Der Regisseur macht sinnfällig,
daß da nicht nur eigene Schuld ist. Zwar leben Edgar und Alice bewußt und
gewollt von allen Menschen abgeschieden, aber ihre Kontaktlosigkeit, ihr Haß, ihre
Unfähigkeit zu menschlich-natürlicher Kommunikation hat auch soziale Ursachen.
Darum zeigt Lang, daß ein Entrinnen aus diesem Eheturm, aus diesen gesellschaftlichen
Bindungen und Zwängen, schier unmöglich ist. Als Edgar seinen Totentanz ausgetanzt
hat, als er gestorben ist, hebt der „Tanz" zwischen Kurt und Alice in eben
der Weise an, in der er zwischen Edgar und Alice begann ...
Diese dritte Inszenierung der „Trilogie der
Leidenschaft", wie Lang sein Projekt nannte (im Januar dieses Jahres sahen
wir Euripides' „Medea" .und Goethes „Stella"), macht nun allerdings besonders
neugierig auf Stücke, in denen das Verhältnis zwischen Mann und Frau in unseren
sozialistischen Zeiten einer poetischtheatralischen Prüfung unterzogen wird.
Neues
Deutschland, 21. Mai 1986