„Ein Traumspiel“ von August Strindberg an der Volksbühne Berlin, Regie
Sebastian Hartmann
Indras Tochter im Super Wash
Wie eigentlich steht's um die Geschäftsgrundlage im Theater? Müsste, wenn Strindberg angekündigt wird, nicht auch Strindberg gespielt werden? Manche Bühnen nehmen's seit geraumer Zeit so genau nicht mehr. Sie servieren Mogelpackungen. Und die Zuschauer haben sich daran gewöhnt, etwas anzuschauen, wofür sie gar nicht bezahlt haben. Sie finden sogar, wie mir scheint, Gefallen an dieser ästhetischen Trickbetrügerei. Das mag daran liegen, dass es erfahrenen Regisseuren durchaus gelingen kann, ein überkommenes, gar verschlissenes Stück umzukrempeln, ihm mit schöpferischer Intuition neue Wirkkraft zu verleihen. Frank Castorf zu Beispiel hat's lange geübt und an der Volksbühne meisterhaft vorgeführt.
Ärgerlich kann es werden, wenn ein Mann ans Regiepult gerat, der derlei
destruktive Konstruktivität nicht beherrscht und, ungeübt noch, letztlich
jämmerlich dilettiert. Jetzt hat sich an der Volksbühne Sebastian Hartmann an
August Strindbergs selten gespieltem »Traumspiel« versucht. Beim achten »Impulse«-Festival
Freier Gruppen in Nordrhein-Westfalen vor rund einem Jahr hatte er mit seinem »wehrtheater
Hartmann« eine Strindberg-Paraphrase in Castorfs Manier vorgestellt. Nun nahm
er sich ein Stück vor. Er inszenierte es nicht, sondern nutzte Teile, fügte
Texte hinzu, illustrierte zusammenhanglos und oberflächlich; wahrscheinlich
in gutem Glauben an Strindbergs These, dass in einem Traum »alles« geschehen
kann und alles »möglich und wahrscheinlich ist«. Aber Hartmann ignorierte,
dass der Autor, wenn auch frei in Zeit und Raum, letztlich ziemlich schlüssig
eine recht sozialkritische Geschichte erzählt.
Der Schwede August Strindberg (1849 bis 1912), ein
Dramatiker von höchster Empfindsamkeit gegenüber den Drangsalen des Lebens,
hatte 1901 mit seinem sensiblen »Traumspiel« einen, wie er meinte, »wachen
Traum« fixiert, nämlich »mehr als Wirklichkeit«. Zu diesem Behufe ließ er Gott
Indras neugierige Tochter auf die Erde kommen und unvermutet in die vermaledeit
irdischen Zwänge des Menschen geraten. Kostbares Material für feinsinnige
theatrale Ironie!
Die Tochter erkennt alsbald, dass es »schrecklich schwer
ist, verheiratet zu sein«, lernt Armut, Schmutz und Hass kennen, hält schöne
Villen am Mittelmeer für das Paradies - das aber ausgebeutete Kohlenträger als
wahre Hölle empfinden. Sie trifft den Dichter und sie erlebt, wie sich die
Dekane der theologischen, philosophischen, medizinischen und juristischen
Fakultät spitzfindig über das Öffnen einer verschlossenen Tür streiten. Im Einzelnen
wundersame, oft zauberhaft wahrhaftige Miniaturen über die Kläglichkeit
menschlichen Alltags.
Indras Tochter ist dem kruden Erdendasein nicht
gewachsen. Mehrfach beteuert sie, dass es »schade um die Menschen« sei und
fragt, warum sie nicht auf Veränderung drängen. Der Advokat, mit dem sie verheiratet
ist, antwortet ihr, die Menschen »wollen keine Aufklärung«. Enttäuscht macht
sie sich auf und davon und lässt fragende, trauernde und verzweifelte
Menschengesichter zurück.
Von den dichten, oft mehrdimensionalen und hintergründig komischen
Vorgängen bleibt bei Hartmann wenig übrig. Er hat weder Herz noch Sinn für die
romantische Poesie dieses Strindbergschen Expressionismus. Die Szenen mit den
Kohleträgern und den Dekanen hat er gestrichen, andere verstümmelt. Bei ihm erscheinen
Außerirdische als eine befremdliche Demonstration kranker Wesen (Amateure des
RambaZamba-Theaters). Weder die zunehmende Verstrickung der Götter-Tochter in
eheliche Pflichten wird szenisch beredt, noch deren Auseinandersetzung mit dem
Dichter (Kate Strong). Statt sensitivem Spiel grobianische Demos. Eine Geburt
als rüde Jahrmarktnummer. Ehestreit symbolisieren schlagend zwei Boxer. Wobei
renommierte Schauspieler wie Peter René Lüdicke (der Advokat) immer wieder
unartikuliert zu brüllen haben, und die hübsche Elevin Cordelia Wege (Indras
Tochter), herausgeputzt als zartes Blondchen, ausdauernd unbeholfen über die
Bühne trippelt.
Wenn der göttliche Engel, soeben auf der Erde angekommen, verloren auf
dem »wachsenden Schloss« sitzt, das als Volksbühnen-Portal aus dem Orchestergraben
empor fährt, hat das noch einen Reiz und stimmt erwartungsvoll. Aber Indras
Tochter bleibt blass wie die anderen Figuren, die sich nicht profilieren
können, weil sie nicht mehr sind als Staffage. Sie stehen zunächst an der Rampe
und reden simpel gewichtig ihren Text. Wenn man schon einen Abend steifen
Laienspiels befürchtet, tobt hinter den Kulissen plötzlich irgendein
martialisch kriegerischer Aufruhr, und die Personnage findet sich auf wüstem
Sand wieder (zuständig Bühnenbildner Jürgen Bäckmann). Zinneimer, Blut und
eine mittelalterliche Kanone werden wichtig. Szenisches Brimborium.
Besinnlichkeit kehrt ein, wenn Otto Sander väterlich-gemessen Gottes Stimme einspricht
oder wenn Karin Ugowski und Gerd Preusche als schnell alternde Jungvermählte
auftreten. Hin und wieder erinnern elementare Schreie: Das Phantom, das
Traumbild Mensch lebt in Angst.
Am Ende nicht Strindbergs Botschaft, nämlich das brennende Schloss,
sondern die geheimnisumwitterte Tür - als moderne Auto-Waschanlage. Zögernd
gehen die Gestalten zwischen die rotierenden Bürsten von Super Wash, auch
Indras vom Leben gezeichnete Tochter. Immerhin noch ein Soap-Bonmot.
Neues
Deutschland, 5. Juni 2000