„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ von Bertolt Brecht am Burgtheater Wien, Regie Alfred Kirchner

 

 

 

Politspektakel in großem Stil

 

„Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch." Diesen berühmten, nach wie vor gültigen Schlußsatz aus dem Epilog des Parabelstückes „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui" von Bertolt Brecht sprach Erika Pluhar, die der Friedensbewegung verbundene österreichische Schauspielerin, emotional bewegt als eindringliche Mahnung. Und stürmischer Beifall des Berliner Publikums dankte den in der Volksbühne gastierenden Künstlern vom Wiener Burgtheater für das leidenschaftliche Engagement, mit dem sie sich 1988, im Jahre des 90. Geburtstages des Dichters, zu dessen antifaschistischer Botschaft bekannten.

Das Gangsterspektakel schrieb Brecht 1941, um aller Welt die Naziführer als große politische Verbrecher erkennbar zu machen und sie zugleich der Lächerlichkeit preiszugeben.

Für eine Inszenierung forderte Brecht den „großen Stil", um den Vorgängen jene Bedeutung zu verleihen, die ihnen leider zukommt. Er selbst gab eine große Form vor, indem er bekannte Szenen klassischer Werke verfremdend nutzte, um die Ungeheuerlichkeit der erzählten Begebnisse zusätzlich zu verdeutlichen.

Skrupellos ist da eine Chikagoer Gangsterbande zu Gange, die sich als Beschützer der einfachen Gemüsehändler aufspielt und in Wirklichkeit das Geschäft des Karfioltrusts besorgt. Und eigentlich sind die Machenschaften der Nazis gemeint, die Korrumpierung Hindenburgs, der Reichstagsbrand-Prozeß, der Röhm-Mord und der gewaltsame Anschluß Österreichs an das „großdeutsche Reich". Vordergründig ein schauerliches Spektakel, hintergründig eine Politparabel.

Alfred Kirchner bediente in seiner im Wiener Akademietheater herausgebrachten Inszenierung beide Aspekte. Er macht das durchaus in großem Stil, aber unspektakulär, fast bieder-feierlich (Musik: Werner Preisegott Pirchner), doch souverän und mit beißender Ironie. Über krachlederne Trachten-Kostüme (Urte Eicker) holt er die Geschichte aus Chikago nach Mitteleuropa. So kommt nicht nur eine orientierende territoriale Genauigkeit in die Parabel, auch eine sich zwar unschuldig gebende, aber letztlich provokante Gemütlichkeit, eine frappierende Travestie der Gangster.

Für die theatralische Wirkung der dergestalt vielsinnigen Geschehnisse erfindet der Regisseur — in dem Elitäres signalisierenden Spielraum Matthias Kraljs — übersichtliche, beredte Arrangements. Er verfremdet die Figuren, bis auf die Kostüme, unauffällig, läßt im wesentlichen identifizierend spielen.

Mit Franz Morak als Ui besetzte Kirchner einen Darsteller, der sein historisches „Vorbild" organisch, ohne Klischees, mit sparsam-präziser Gestik und vor allem sprachlich charakteristisch ständig mit ins Spiel bringt. Das ist in der Tat exzellent, wie dieser Schauspieler schon mit der Sprache die ganze ungeheure geistige Hohlheit dieses Typs entlarvt, wie er ästhetisch erledigt, was einmal die Welt erobern wollte.

Franz Moraks Ui tritt zunächst unscheinbar, betont bescheiden auf: ein einfacher Sohn der Bronx. Doch kein Zweifel, bereits im Prolog wird's sichtbar: Da schielt ein scheinheiliger Heuchler nach dem Erfolg. In den erpresserischen Verhandlungen mit Dogsborough (Hindenburg) entpuppt sich der aufwieglerische Volksverführer, redet sich Ui hysterisch in Eifer. Überrascht ertappt er sich ob seines ungezügelten Redeschwalls. Dann schafft er Abhilfe, nimmt er Unterricht bei einem Schauspieler (bravourös Sebastian Fischer). In der Art, wie dieser „Gröfaz" imponierenden Gang, erhabene Haltung und rednerischen Ausdruck trainiert, entlarvt sich eine ebenso erbärmliche wie gefährliche Marionette. Und vor dem Büro des Karfioltrusts operiert Ui dann mit rhetorischer Demagogie. Darstellerischer Höhepunkt ist die „Glaubens-Arie" des Ui, die Morak nutzt, um die Figur scharf zu karikieren.

Eine wahrhaft gespenstige Groteske ist schließlich die Begegnung Uis mit Ignatius Dullfeet (Dollfuß, damals Österreichs Bundeskanzler), gespielt von dem Liliputaner Fritz Hakl, das Werben des Gangsters um dessen Firma. Schon die ungleiche Größe der Kontrahenten gibt erbarmungslos Auskunft über das Kräfteverhältnis. Hilflos ausgeliefert wirkt alle unwirsche Zurückhaltung des kleinen Ignatius.

Der nachfolgende Auftritt der Betty Dullfeet mit dem Sarg ihres soeben ermordeten Gatten unterm Arm ist ein theatralisches Vabanquespiel. Erika Pluhar ist zu danken, daß dieser makabre Vorgang nicht in bodenlose, alle Ästhetik zerstörende Lächerlichkeit wegkippt. Überzeugend wie die Darstellerin als gedemütigte, unterliegende Betty dem wahnwitzigen Hasardeur Ui ihre ungebrochene Menschenwürde entgegensetzt. Mit der Haltung des Widerstandes, die sie hier aufbaut, tritt die Pluhar dann vor den Vorhang zum Epilog. Das ist inszenatorisch von ergreifender Konsequenz, denn noch eben hatte der triumphierende Ui seine gefährliche Aggression ins Publikum geschrieen. Das emotionale Manifest des Epilogs durch nochmaliges kurzes Einblenden der Gangstervisagen zu brechen, scheint mir überflüssig, weil mehr befremdlich als verfremdend.

Zu nennen noch Heinrich Schweiger als Ernesto Roma, Ignaz Kirchner als Emanuele Giri, Ulrich Wesselmann als Giuseppe Givola und Alexander Trojan als alter Dogsborough. Eine Aufführung zum Brecht-Dialog in Berlin, die einmal mehr die geistige Vitalität und die politische Aktualität des Dichters bekräftigte. Dank nach Wien zum Burgtheater.

 

 

 

Neues Deutschland, 15. Februar 1988