„Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ von Peter Handke am Deutschen Theater Berlin, Regie Jürgen Gosch

 

 

 

Das Volk mit der Krone im Plastikbeutel

 

Vor gelbem Rundhorizont schwebt ein Fallschirmjäger ein, wird von mit Mistgabeln gerüsteten Bauern zur Seite gedrängt. »Rache!« ruft der Großvater grimmig. »Rache?« fragt er nachdenklich. »Gerechtigkeit«, antwortet er sich selbst. So hebt ein bombastisches Sprechspiel an. Ein modernes Märchen, handelnd von fiktiven Menschen auf einer fiktiven Enklave (zum Beispiel im Bergland von Andalusien) in einer Zeit »vom letzten Kriege bis jetzt und darüber hinaus«. Erfunden von Peter Handke, ausgestattet mit Wort-Material für vier Stunden.

Um es vorweg zu nehmen: Mehr geistige Disziplin des Autors wäre wünschenswert. Was er mit seinem 1995 unter dem Eindruck des hirnrissigen Krieges in Ex-Jugoslawien geschriebenen »Königsdrama«, betitelt »Zurüstungen für die Unsterblichkeit«, zu sagen hofft, ließe sich ohne Zweifel konzentrierter und weniger wortaufwendig vorbringen. Hat er überhaupt etwas zu sagen? Als Claus Peymann das Werk im Winter 96/97 am Wiener Burgtheater uraufführte, war zu lesen, Handke sei politisch nicht ernst zu nehmen. Er plädiere für Frieden, den er sich von einem König erhoffe. Und überhaupt betreibe er mit naivem, unhistorischem Kinderblick infantil finsterste Gegenaufklärung. Massiv der Versuch, das Stück Theatern wie Zuschauern zu verleiden.

Zugegeben, geredet wird allerhand über Macht und Ohnmacht, Sinn und Unsinn eines Königs. Das Volk (Fritz Schediwy aufgeräumt spinnert) schwafelt und schwärmt, auch der Idiot (Horst Lebinsky weise distinguiert) gibt seinen gar nicht so närrischen Senf dazu. Ruf nach dem starken Mann? Ziemlich königssüchtig ist ein junger Verführter (Kay Schulze virtuos) der »Raumverdrängerrotte«, über die zu berichten sein wird.

Wenn Peter Handke zwischen all seiner bildungsbeflissenen Wortschwelgerei mit einem dramaturgischen Uralt-Mittel wie der Fabel etwas erzählt, dann von seiner verborgenen, nicht ausgesprochenen Sorge über das schier unaufhaltsame neuerliche Aufkommen dubios nationalen, irgendwie faschistoiden, letztlich unverhohlen faschistischen Ungeistes und Verhaltens. Und Jürgen Gosch ist es zu danken, dem Regisseur der Inszenierung jetzt am Deutschen Theater in Berlin, daß die Gefahr nicht zer-, sondern vorgespielt wird.

Das geht zu wie leider im richtigen Leben. Die Mehrheit der Enklaven-Bewohner debattiert herauf und herunter über die Möglichkeiten, mit der Zukunft fertig zu werden, und ein Häuflein zwielichtiger Fanatiker, von Handke »Raumverdrängerrotte« genannt, mischt sich immer dreister ein, strebt fast unbehindert zur Macht. Gosch läßt nicht zu, daß diese Rotte harmlos erscheint. Mal agieren die Herren halbnackt und glatzköpfig, mal als Ranger, dann als perfekte Bürger; mal prügeln sie brutal, legen nebenbei irgendeinen letzten König um, dann wieder sind sie scheißfreundlich. Ihr Anführer (Thomas Bading exzellent), die Scheinheiligkeit in Person, die Rotte (Matthias Hörnke, Lars Eidinger, Kay Schulze) ein Haufen Manipulierter.

Fast scheint es, als sei das Heranwachsen der von Besatzern gezeugten Kinder Pablo und Felipe, ihre Auseinandersetzung mit den Müttern (Claudia Geisler, Bettina Kurth), ihr Bemühen, dem alsbald ermordeten Großvater (Otto Mellies) zu willfahren, sich zu rächen und die Enklave zu einem Musterland an Friede und Wohlstand zu machen - als sei all diese Verwicklichung vom Autor nur ersonnen, um ihm das Schlußtableau zu ermöglichen. Wenn nämlich Pablos Frau, die junge schöne Wandererzählerin (Naomi Krauss), eine im Grunde weltfremde, aber Unsterblichkeit erhoffende Gesundbeterin, nach wie vor nebulös von einer anderen, besseren Zeit faselt, damit aber nicht das letzte Wort hat, sondern - von der Regie hell beleuchtet - die »Raumverdrängerrotte« mit ihrem Erscheinen. Noch bleibt sie still im Hintergrund. Im Stück! Und in der Wirklichkeit? Einen Tag nach der Premiere lese ich in der Presse - einmal wieder - von brutalen Überfällen vermutlich rechtsradikaler Jugendlicher...

Zurück in die Kunst! Dort läßt sich bekanntlich die Welt nach Belieben durchspielen. Und Handke spielt vor, daß da - zumindest in seiner Enklave - keine Kraft ist, die der Rotte entgegentreten könnte. Pablo, der engagierte Superman der Zunge, der »eine andere Gesellschaft« beschwört, der glaubt, mit neuem, »gerechtem« Gesetz von oben herab alles einzurenken - ein ohnmächtiger Illusionist! (Von Thomas Dannemann nicht kritisiert, sondern - leicht angestrengt zwar - kräftig als edler Idealist profiliert.) Felipe, der Chronist und Schreiber schöner Sätze - ein lieber, mit seinem Schicksal zufriedener Versager. (Von Stephan Grossmann als treuherzig redlicher Bürger ironisiert.) Und das Volk? Es schleppt einen Plastebeutel durchs Königsdrama, eine Krone darin.

Ein unheimliches Stück! Mit bitterer Wahrheit als heimlicher Konterbande. Von Jürgen Gosch im poetischen Bühnenbild von Johannes Schütz so klug wie locker, zu zerdehnt zwar, mit zu viel theatralem Brimborium auch, doch letztlich überzeugend kredenzt.

 

 

 

Neues Deutschland, 19. Juni 1997