„Urfaust“ von Goethe im Sternfoyer der
Berliner Volksbühne, Regie Thomas Langhoff
(Wiederaufnahme der Aufführung von 1979)
Forscher, akkurater und vitaler Umgang mit Goethe
Diese Wiederaufführung von Goethes „Faust in
ursprünglicher Gestalt" im Sternfoyer der Berliner Volksbühne hat nichts
an Ursprünglichkeit gegenüber der Aufführung von 1979 eingebüßt. Damals
spielten Studenten der Berliner Schauspielschule in der Regie von Thomas
Langhoff mit jugendlicher Unmittelbarkeit und Frische, wie sie angehenden
Schauspielern eigen sind. Mittlerweile an Berliner Theatern engagiert, ergriffen
sie jetzt die Initiative. Dank förderlicher Unterstützung des Zentralrats der
FDJ und der Volksbühne fanden sie sich zu einer Spielgruppe zusammen, in der
sie — so ist zu erwarten — nicht nur einfach Theater spielen, sondern mit der
sie auch Wirkungen erzielen wollen.
Diesmal hilft ihnen, wieder Thomas Langhoff.
Unter seiner Regie gehen sie mit Goethe forsch, doch akkurat um. Ihre
theatralische Aneignung von klassischem Erbe findet als vitale Besitznahme
statt, als Bestätigung und Weiterführung. Zum Auftakt bilden die Spieler,
zunächst noch ganz junge Leute von heute, einen magischen Kreis der Hochachtung
um das auf dem Boden liegende Manuskript des „Urfaust". Aber auch kecke
Burschikosität signalisieren sie, aufmuckende Respektlosigkeit. Und dann das
Spiel, geradezu fröhlich augenzwinkernd manchmal, ganz aus der legeren
Selbstverständlichkeit und dem wachen Selbstbewußtsein heutiger junger
Generation, unmittelbar und von schöner komödiantischer Urwüchsigkeit. Frank
Lienert als Faust von furioser Energie, doch stets äußerst diszipliniert,
genau, pointiert im Ausdruck bis in jedes Detail. Lienert packt den Faust bei
dessen inbrünstigem Drang nach Erkenntnis und Verwirklichung, bei dessen
hartnäckiger Unerbittlichkeit gegenüber Mephistopheles, bei dessen aufrichtiger,
ja heiliger Liebe zu Margarete — und liefert immer auch eine leise,
spöttisch-heitere Ironie mit. So ist sein Faust ganz und gar der ernst zu
nehmende leidenschaftliche Stürmer und Dränger jener Zeit, und wird doch
ständig auch schaubar in der historischen Relativität, gar nicht aus
überheblicher Sicht, sondern freundlich, gewitzt, aufmunternd. Das ist
Schauspielkunst, sozial und historisch konkret und zugleich produktiv ins
Gegenwärtige zielend, wahrhaft ergötzend. Herbert Sand gibt den Mephistopheles
als absoluten Schelm, souveräner als seinerzeit, scheint mir, nicht minder
clownesk und burlesk, aber die Mittel genauer einsetzend, nicht so gewollt,
sondern locker aus der trockenen Lässigkeit des ewig manipulierenden,
räsonierenden Teufels. Katrin Knappe als Margarete ist zart und empfindungsvoll
in ihrer Liebe, auch deftig kann sie sein, ausgezeichnet ist sie wieder in der
Kerkerszene. In weiteren Rollen diesmal Gabriele Zion (Marthe) und Jens-Uwe
Bogadtke (Valentin).
Bleibt zu wünschen, daß der Spielgruppe nach
diesem Auftakt mit hohem Anspruch nicht der Atem ausgeht, daß auch weiterhin
Spielmöglichkeiten gefunden werden.
Junge
Welt, 22. Juni 1982