„Monsieur Verdoux“ von Charles Chaplin am Berliner Ensemble, Regie
Werner Schroeter
Mörderisches „Vergnügen“
Im Berliner Ensemble spielten sich Eva Mattes und Martin Wuttke in
blendende Form. Auch Marianne Hoppe, die große alte Dame des deutschen
Theaters, mischte spielvergnügt mit. Angelika Waller war gut drauf, Nadja
Engel, Carmen-Maja Antoni, Catherine Stoyan, Annemone Haase sowie Jörg-Michael
Koerbl, Uwe Steinbruch und Zazie de Paris. Sieben Tänzerinnen lieferten einen
flotten Cancan. Und Jazzer Sirone Jones an der Rampe kommentierte mit dem
Kontrabaß. Angerichtet hatte die grotesk-komischen Turbulenzen Werner
Schroeter, von Hause aus Filmregisseur, und insofern gut besetzt als
Spielmeister für den Versuch, Charles Chaplins berühmten Film »Monsieur
Verdoux« aus dem Jahre 1947 in einem Theater uraufzuführen. Mir scheint, das
Experiment gelang. Das Premierenpublikum jedenfalls war spürbar animiert und
spendete herzlichen Beifall.
Was Martin Wuttke als Familienvater, ehemaliger
Bankangestellter, Heiratsschwindler und Frauenmörder Henri l Verdoux leistet, ist schlechterdings
bravourös. Ihm ist es zu danken, daß sich die Fülle kurzer Szenen, vom
Regisseur oft mit unnötigen Spielwerk verziert und zerdehnt, zur amüsanten
Geschichte fügt. Noch bevor man dahinter schaut, daß letztlich soziale Not den arbeitslosen
Hilfskassierer umtreibt, sieht man in ihm den gehetzten armen Schlucker, den
aus nackter Verzweiflung windig-wendigen, doch immer auch etwas tollpatschigen
Charmeur und Liebhaber. Die a priori skeptische alte Mme. Groneille (Marianne Hoppe)
läßt ihn bei ihrer ersten Begegnung geradezu bombastisch abblitzen. Lydia
Floray (Zazie de Paris), gut im Fleisch, ist ihrer Sinne nicht Herr und fällt
auf seine Heuchelei herein. Wuttke bewältigt das komödiantisch-akrobatische
Pensum bis zur letzten Minute mit äußerster Konzentration extensiv und präzis,
mimisch konkret, mit souveränem Gespür für die Komik der Situationen. Immer wieder
fährt er sich mit dem Finger nervös über den glatzköpfigen Schädel, klopft er
auf die Uhr am Arm, als wolle er die Zeit zu seinem Verbündeten machen. In
größter Not hastet er, um nicht erkannt zu werden, auch mal über die
Stuhlreihen hinein ins Publikum und hinweg. Gelegentlich hat er Glück. Etwa wenn
Kommissar Morron (Arno Wyzniewski), der ihn durchschaut hat, vom Wein trinkt,
den Verdoux vergiftete.
Hinreißend Wuttkes Spiel mit Eva Mattes. Deren
lüstern-naive Annabella ist von außergewöhnlicher schauspielerischer Verve. Wie
eine Beute geschultert schleppt das Weib Henri herein, girrt und gurrt,
schlingt sich um ihn, am liebsten aber grapscht es unschuldig liebesnärrisch
dorthin, wo bei den Männern alles anfängt. Wenn Annabella sogar durch die Hose
beißt, weiß sich ihr Verführer kaum zu helfen. Wahrhaft chaplineskes Format hat
der Mordversuch auf dem Boot. Ein Bett mit zwei Paddeln schaukelt an zwei
Drahtseilen wie auf einem See. Er hantiert verbissen und scheinheilig mit Seil
und Stein, sie freut sich arglos über die Fische und sein Ungeschick.
Wuttke führt die Figur linkisch-elegant auf schmalem Grad, nämlich dem
der Sympathie und Ablehnung gegenüber einem Menschen, der mit Familie zu überleben
sucht, aber Mittel wählt, die die Gesellschaft nicht toleriert, nicht tolerieren
kann. Zumindest wenn es um einen »kleinen Handwerker« geht wie Verdoux. Bei
Massenmördern wie Kriegsanstiftern und -gewinnlern sieht es da bekanntlich ganz
anders aus. Chaplin hatte seinen Film just gemacht, um ungewöhnlich, mit einer
Komödie, anzuklagen. Regisseur Werner Schroeter nimmt nichts zurück. Sein Verdoux
ist sich seiner mörderischen Taten wohl bewußt, aber ebenso gewiß ist er sich,
daß er ein vergleichsweise harmloser Killer ist. Weshalb er vor Gericht
herausfordernd auftritt. Makaber dann freilich, wenn die Leut' ihm mit Blumen
huldigend umschwärmen. Makaber auch, weil das mit massenmörderischen
Kriegsverbrechern in der Regel nicht anders geschieht.
Gespielt wird vom Ensemble ein wenig verschroben. Die Figuren agieren
zuweilen eckig und formal wie skurrile Marionetten. Flair der frühen dreißiger
Jahre in Paris kommt in etwa auf. Wenn die Tänzerinnen ihre Beine schwingen.
Wenn Verdoux per Telefon seine Bankgeschäfte macht. Daß er eigentlich versucht,
mit Möbeln zu handeln, zeigt Alberte Barsacq mit einer Pyramide noch verpackter
Stühle. Das Bühnenbild ist ansonsten, frei hängende Halbwände in einem Raum mit
großen Türen nach draußen, eher Dekoration für absurdes Theater. Indessen - war
Chaplin nicht eigentlich ein realistischer Absurder? Man geh hin und bilde sich
seine eigene Meinung. Endlich kann ich das einmal wieder wirklich empfehlen.
Neues
Deutschland, 21. Januar 1997