„Die Wanze“ von Wladimir Majakowski am Maxim Gorki Theater Berlin, Regie Peter Lund

 

 

 

Majakowski eingebürgert

 

Wladimir Majakowski eingebür­gert. Der Unerbittliche als Kron­zeuge für verständnisvollen Um­gang mit dem ewig Kleinbürgerlichen. Seine Zauberkomödie »Die Wanze« aus dem Jahre 1929, einst bissige Attacke ge­gen einen zum Spießer verkommenden Proleten, nun sentimentale Hommage an einen Arbeiter, dem sein Flirt mit dem Mittelstand zum Verhängnis wird. Zu be­wundern neuerdings in einer herzig ope­rettigen Inszenierung am Berliner Maxim Gorki Theater.

Kein Zweifel: Majakowski pur ist kaum noch spielbar. Wenn man sich dennoch für ihn entscheidet, muss man bearbeiten. Das hat Peter Lund von der Neuköllner Oper, der auch Regie führte, gründlich getan.

Majakowski: Arbeiter Iwan Prissypkin will sich nach dem Sieg der sozialistischen Revolution ausruhen und ein angenehmes Leben genießen. Er verlässt Soja, eine Ar­beiterin, und wirbt um Elsevira, die Tochter eines Friseurs. Soja verzweifelt und erschießt sich. Hochzeit mit Krach und Feuer. Offenbar überlebt niemand. Die Feuerwehr löscht bei Frost. Fünfzig Jahre später wird Iwan im Keller als Eis­block entdeckt. Man taut ihn auf. Doch sein wiederbelebtes Kriechertum, ein schlimmer Bazillus aus der Vorzeit, steckt alle an. Gefahr! Am Ende hockt Iwan mit seiner Wanze, die er wie ein Haustier hü­tete, als von der Zeit überholtes seltsames Wesen im Zoo in einem Käfig.

Bearbeiter Peter Lund polt die Fabel um, erfindet hinzu. Bei ihm wird das wunderbare Überleben Sojas gezeigt, ver­lieben sich Iwan und Soja noch einmal. Nachdem sie seine Wanze verschluckt hat, um mit ihm quitt zu sein, heiraten sie gar und avancieren zum typischen Ehepaar mit Streit um Kaffeeflecken auf der Tisch­decke. Warum Iwan nach Sofias natürli­chem Tode in einem dramaturgischen Salto mortale noch im Käfig landet, bleibt Geheimnis des Bearbeiters.

Immerhin setzt Peter Lund allerhand Assoziationen frei, denn er biegt nicht nur die Fabel um, er mischt auch unbeküm­mert die sozialen Systeme und spricht durchweg von »unserer Gesellschaft«. Womit er irgendwie merkwürdig Recht hat. Denn Opportunismus und clevere Anlehnung an die Mächtigen, unter wel­chem Regime auch immer, sind gegen­wärtiger denn je.

Daher funktioniert die Komödie. Zwar mit Ach und Krach, aber sie funktioniert. In kubistischen Leinwänden (Bühnenbild Claudia Doderer) und mit eingängiger Musik von Wolfgang Böhmer unter der Leitung von Jens-Karsten Stoll begibt sich ein unterhaltsames Musical mit pluralistischem politischem Touch. Regisseur Peter Lund, offenbar versiert im heiteren Genre, mixt souverän gängiges Fluidum der 20er Jahre mit ein bisschen Agitprop und poin­tiertem Spiel.

Frank Seppeler zeigt einen raunzigen, struppeligen jungen Iwan, der seine Ge­liebte Soja (Anna Steffens) herzlos im Stich lässt und Elsevira (Cathlen Gawlich als Barby-Puppe) unterwürfig den Hof macht, eilfertig unterstützt von Oleg, einem pfiffi­gen Naturburschen aus dem Stamme der Hauseigentümer, von Thomas Schmidt tadellos kreiert. Friseur-Gattin Rosalia, von Monika Lennartz mit Esprit als aufge­räumte komische Alte vorgeführt, kämpft wacker um die eheliche Verbindung zum siegreichen Proletariat. Ihr Mann David (Eckhart Strehle) ist zurückhaltender. All­erdings, wenn es um das hymnische Ab­singen einer erloschenen werktätigen Hoffnung geht, um den Abgesang vom schönen Traum für ein gutes neues Land, hebt er zögerlich die rechte Faust. Was seiner Gattin gar nicht passt. Auch Iwan tritt dazwischen, mögliche Nostalgie mit seiner Gitarre beendend und als eifriger Liedermacher das angenehme Leben jetzt und sofort fordernd.

Fünfzig Jahre später freilich, in einer modernen, klinisch sterilen Weltrepublik-Metropole aus eisiger Starre wiederbe­lebt, hat Iwan keine Chance mehr, »ein nützlicher Mensch unserer Gesellschaft« zu werden. Zwar gibt es symbolisch ein bisschen Mauer-Öffnung und anschlie­ßend verbale Kunde von stillgelegten Bergwerken, Kaufhäusern, Schulen und Krankenhäusern, aber Iwan wird nicht vernünftig. Er bleibt der saufende, rülpsende, in seine Wanze mehr als in Soja verliebte Prolet mit verschwommenen Flausen vom schönen Leben. Ein zwie­lichtiger Typ rundum.

Ist da im letzten Moment der unverbes­serliche Ossi gemeint? Oder etwa doch der seine Ideale verratende Arbeiter, der die Mitte suchte und elend scheitert? Oder schlicht und einfach der normale Mensch, der sich sterilen Verhältnissen wider­setzt? Wem es Spaß macht, im Theater ein bisschen genarrt zu werden, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen.

 

Neues Deutschland, 6. Oktober 1999