„Wartesaal Deutschland StimmenReich“ von Klaus Pohl, Uraufführung am Deutschen Theater Berlin, Regie Klaus Pohl

 

 

Rolf Ludwig als Malermeister Hans

 

 

Emigriert, ohne auszuwandern

 

Im Deutschen Theater in Berlin gibt es jetzt unter dem Titel „Wartesaal Deutschland StimmenReich" eine Bühnen-Rarität von Klaus Pohl („Karate-Billi kehrt zurück", „Die schöne Fremde"). Der aus den USA herbeigeeilte Schriftsteller, der New York zur Wahlheimat machte, als Deutschland geteilt war, offeriert Aussagen ost- und westdeutscher Bürger, die er interviewte, als er flugs sein Vaterland bereiste, nachdem es wieder eins sein durfte.

Was Pohl 1994 sammelte und danach als Essay im „Spiegel" veröffentlichte, war das Elaborat eines Besserwessis, wie es im Buche, bzw. wie es noch heute in einschlägigen Zeitungen steht. Jetzt hat sich der Autor eigene Kommentare verkniffen, läßt die Leute reden, wie sie geredet haben. Und dank der hervorragenden Charakterisierungskunst der Schauspieler entstand etwas Kostbares. Zwar kein Stück - was zu bedauern und zu monieren ist! -, aber ein theatrales Kaleidoskop von Meinungen Deutscher über sich und Deutschland, ehemals und noch Prominenter, kleiner Leute hier und dort. Kein Einheits-Hosianna herrschender Ideologen, schlichte Wahrheiten. Es berührt, es betrifft einen. Die zustimmenden Reaktionen im Saale waren unüberhörbar. Lange nicht wurde aktuell auf der Bühne des DT Volkes Stimme so glaubwürdig, weil so authentisch geäußert.

Obwohl, wie gesagt, von einem Theaterstück nicht die Rede sein kann, gibt es eine gewisse Dramaturgie des Abends. Hans Nadolny vermutlich, der Dramaturg, und der Autor als Regisseur haben die Reihenfolge der Monologe ein wenig im Sinne einer Fabel arrangiert. Da gibt es so etwas wie einen Auftakt, ein Motto gewissermaßen. Martina W. aus Ostberlin, jetzt Referentin Stolpes, des Ministerpräsidenten, gespielt von Margit Bendokat, erklärt unumwunden: „Das Problem ist, daß die DDR-Bevölkerung noch existiert - das ist ja das Irre - die sind emigriert, ohne auszuwandern!" Eben dieser Widerspruch wird im Verlaufe des Abends mit diversen Stellungnahmen belegt.

Wobei - was zunächst überrascht -, daß nämlich Frauen auch die Männer sprechen, sich als clevere Entscheidung der Regie erweist. Es erleichtert, mit dieser oder jener Aussage nicht streng dokumentarisch, sondern locker spielerisch, auch ironisch umzugehen. Kabinettstückchen! Eva Weißenborn als Bürgermeister von Bebra, der seine finanziellen Probleme hatte mit der unvermuteten Öffnung der Grenze. Margit Bendokat als Versicherungskaufmann Jochen aus Nürnberg, der dem VEB Dampfkessel in Plauen den Weg in die Marktwirtschaft ebnen half und es nicht fassen konnte, daß seine Angestellten während der Arbeitszeit zum Friseur gingen. Elsa Grube-Deister als Lokalreporter einer Heimatzeitung, der, vormals Mitglied des Politbüros, die ehemalige Sozialpolitik der DDR als Irrtum abqualifiziert. Stefanie Stappenbeck als ewiger Student, als junger Mann im 17. Semester, der 1976 mit seinen Eltern „rübergekommen" ist, aber seine heiße erste Liebe in der DDR zurücklassen mußte.

Andere Nummern noch. Dreiundzwanzig Zeugnisse. Kurz, drastisch, originell. Margit Bendokat als arrogante, rechtsradikale Fachärztin, Elsa Grube-Deister als lebenserfahrene Putzfrau, Stefanie Stappenbeck als sich wundernde junge Arbeiterin Jenny, Eva Weißenborn als neurotischer Professor. Die Übergänge von Statement zu Statement, abgegeben in einer Bahnhofshalle (Bühnenbild Stephan Fernau), vermittelten mit Gefühl für deren Mentalität die Jazz-Musiker Jörn Brandenburg, Dieter Fischer und Stefan Rager. Der Abend kommt einem nie langatmig vor, ist durchweg unterhaltsam. Und er hat sein Finale.

Da gibt's zunächst sogar einen kurzen Dialog. Ein Frankfurter CDUler (Eva Weißenborn) und ein unzufriedener Arbeiter (Margit Bendokat) geraten sich in die Haare. (Scheint mir ein echter Pohl zu sein. Jedenfalls ist's wie das Wetterleuchten einer politischen Komödie.) Sodann vermittelt Rolf Ludwig, eigenwillig, widerborstig, als Malermeister Hans aus Görlitz, geboren jenseits der Neiße, ein deutsches Schicksal, wie es zwar nicht typisch, aber real ist. Der Hans wollte von Deutschland nach Deutschland, war schon „drüben", wurde zurückgeschickt, weil nicht volljährig, landete bei der Stasi in Waldheim, fuhr 1956 nach der Entlassung nach Westberlin, heiratete in Hamburg, lebte schließlich dreißig Jahre in Australien. Nach dem Fall der Mauer, den er im Fernsehen verfolgte, zog es ihn in die Heimat zurück. In Görlitz schaffte er es zur Firma mit zwölf Angestellten. Dann sperrten ihm die Banken den Kredit. Aus der Traum! Mit dem „Lied der Arbeitslosen" (Stempellied) von Weber/Eisler, sarkastisch gesungen von Rolf Ludwig, endet Klaus Pohl seinen deutschen Heimatabend.

 

 

Neues Deutschland, 30.Oktober 1995