„Amys Welt“ von David Hare im Renaissance-Theater Berlin, Regie Fred Berndt

 

 

 

Sehnsucht nach Harmonie

 

Der Abend beginnt hölzern. Finden die Akteure nicht zueinander? Ha­ben sie die Regie-Anweisungen Fred Berndts nicht verinnerlicht? Sind sie gehemmt und obendrein etwas steif? Oder ist das Stück des Engländers David Hare so sperrig? Allerhand Fragen zum Auftakt dieser deutschen Erstaufführung im Re­naissance Theater Berlin.

Ohne Zweifel, die Exposition von »Amys Welt«, einer Familien-Geschichte aus unseren modernen Zeiten, ist diffus. Zu lan­ge bleibt offen, ob sich Amys Welt ver­knotet oder eher die Esmes, ihrer Mutter, einer in die Jahre kommenden Schau­spielerin. Vielleicht geht es auch eigentlich um Dominic Tyghe, den Freund Amys. Das ist ein Fernseh-Journalist und -Kriti­ker mit erklärter Aversion gegenüber dem Theater, das er totsagt.

Überhaupt vermutet man zunächst eher eine Polemik gegen das Fernsehen, gegen den »schäbigen Daumen des Showbusi­ness« (Hare). Regisseur und Bühnenbild­ner Fred Berndt hat nämlich ein Pappma­che-Ehepaar ins Parkett gesetzt - er mit Fernbedienung und Bierbüchse, sie inte­ressiert nach vorn geneigt. Und die Bühne präsentiert er als große Mattscheibe. Wenn er darauf in der Pause Fernseh­werbung und Helden beliebter Serien erscheinen lässt, ist das bewusste Konfron­tation mit dem Theater.

Doch keine Sorge! Ab erster Pause hal­ten die Akteure mit. Ihr Spiel gewinnt zusehends an Profil, wirkt insgesamt zwar nicht so drastisch, klotzig und überdreht wie TV-Serien, dafür aber merklich le­bensnäher. David Hare, ihr Autor, Schöp­fer von fast dreißig Theaterstücken, ist nicht nur einer, der »mit links schreibt«, er ist auch einer, der sich auskennt. Stücke wie »In Teufels Küche«, »Mühlen des Ge­setzes« und »Falscher Frieden« haben ihn zum klarsichtigen Chronisten der That­cher-Ära gemacht. Und die Beliebigkeit eines Tony Blair hat er längst durch­schaut. Seine skeptische Gewissheit, »dass wir nicht mehr erwarten können, unsere Überzeugungen von der Gesell­schaft eingelöst zu sehen«, artikuliert er nicht mit Widerwärtigkeiten als angebli­chen Protest, sondern mit kritischer Sicht der sozialen Umstände.

Dass Hare seine Heldin Amy per Zufall oder Unfall einfach sterben lässt, sie als den Konflikten nicht gewachsen zeigt, kann nicht erbauen, ist allerdings folge­richtig. Amy wünschte sich Harmonie für die Welt. Eben das ist nicht zu haben. Dominic, ihr Ehemann, verlässt sie, nach­dem er es an ihrer helfenden Seite zum anerkannten Filmregisseur gebracht hat. Auch ihre Mutter enttäuscht. Sie entpuppt sich als lebensfremd und egoistisch.

Der Autor verteilt Analyse und Er­kenntnis auf die Jahre 1979, 1985, 1993 und auf heute. Sein Stück braucht wand­lungsfähige Darsteller. Julia Grimpes Amy, anfangs etwas zu auffällig als unbefangen fröhlich vorgeführt, präzisiert die Figur. Dass diese Amy dem Leben nicht gewach­sen ist, mag man zwar nicht recht glau­ben, doch deren Verunsicherungen überzeugen. Ihre zunehmende Bestürzung an­gesichts der Geld-Beichte der Mutter be­wegt.

Esme ist bei der schlanken, sensiblen Judy Winter gut aufgehoben, die sich fast demonstrativ mit dem Schicksal dieser gern etwas kapriziösen, in ihren Ausbrüchen elementaren und wunderbar thea­terbesessenen Schauspielerin identifi­ziert. Trotzig verteidigt diese Esme ihr Metier gegenüber dem intoleranten Fernseh-Freak. Und sie findet's normal, für ein paar glückliche Stunden an der Seite eines leider heuchlerischen Gefährten (Jörg Holm distinguiert als leichtlebiger Frank Oddie) all ihr Geld aufs Spiel gesetzt zu haben.

Sebastian Reusse hat die TV-Zunft zu vertreten. Das spielt er dezent, nicht mit äußerlichen Show-Attributen, sondern den Menschen suchend, der Karriere macht, ohne sich den mörderischen Spiel­regeln ganz auszuliefern. Wenn er die ge­alterte, verarmte Sozialhilfeempfängerin Esme in ihrer Garderobe aufsucht, um ihr einen Karton voller Geldbündel zu brin­gen, ist da nicht einer, der sich eitel einen großkotzigen Auftritt verschafft, sondern ein gereifter Mann, der aufrichtig die Bühnenkünstlerin ehrt.

Das Theater ist nicht tot. Es ergötzt, es berührt, sobald es sich selber treu bleibt.

 

 

 

Neues Deutschland, 19. Oktober 1999