10. Organisieren von Bewährungen (1975-1981)

 

 

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„Romeo und Julia“ von Shakespeare

mit Corinna Harfouch und Thomas Rühmann

 

 

 

10.6  Werkstatt

 

Das vielseitige Organisieren von Bewährungen modifizierte zunehmend den Unterrichts-Alltag. Unter Beibehaltung des sozusagen "klassischen" Unterrichts, der unverzichtbar der fachlichen Grundausbildung dient, (10.23) etablierte sich eine Unterrichtsform, die mit dem Begriff "Werkstatt" vielleicht am besten umschrieben ist. Werkstatt insofern, als über einen bestimmten Zeit­raum eine bestimmte Gruppe von Studenten mit bestimmten Pädagogen ein bestimmtes künstleri­sches Projekt zu realisieren hat, das - sofern gelun­gen — für öffentliche Auftritte vorgesehen wird.

Zwar hat das Hauptfach Schauspiel grundsätzlich die Verantwortung zu tragen, aber je nach dem Charakter des Projektes können Fächer wie Sprecherziehung, Musik oder Bewegung, aber auch theo­retische Disziplinen, in die Erarbei­tung einbezogen werden. Die Ausbildung wird interdisziplinär. Die Anteile der einzelnen Fächer sind stets neu festzulegen, da Art und Charakter der Vorhaben ganz unterschiedlich sein können. Manch ein Unternehmen sucht die Schule aus eige­ner Kraft zu realisieren, in anderen Fällen werden interessierte, ökonomisch wie künstlerisch kräftige Partner gewonnen, insbesondere für die Studioin­szenierungen. Die Zusammenarbeit mit einem Ber­liner Theater, auch mit dem Fernsehen der DDR, die sich zwar meist Koproduktion nennt, war fast in jedem Falle anders strukturiert. Einmal stellt ein Theater nur seine Bühne zur Verfügung, ein ander­mal auch den Regisseur, den Ausstatter mit Werk­statt, die Probebühne und die Werbeabteilung.

An die "Dispositionskunst" der Schule werden seither erhöhte Anforderungen gestellt. Schon im September 1975 hatte ein Chanson-Se­minar mit Gisela May stattgefunden. "Frau May verstand es, echte Werkstatt-Atmosphäre zu erzeu­gen", heißt es in der Auswertung. "Die Interpreta­tionslösungen wurden gemeinsam gesucht, unter ihrer Anleitung kritisch betrachtet und ausgewählt und als Ausdruckshaltungen eingesetzt. In den Arbeitsgesprächen zeigte sich eine gute, fundierte theoretische Vorbereitung der Studenten über Gestaltungsaspekte und Handhabbarkeit der Mittel bei der Interpretation von Dichtung.» (10.24) Das im Seminar entstandene Chanson-Programm, vorwiegend Brecht/Eisler-Lieder, wurde öffentlich vorgeführt. Gisela May wiederholte das Seminar 1976. In den Jahren 1983/84 und 1985 arbeitete Vera Oelschlegel jeweils einen Kurs Liedinterpretation. Die entstandenen Programme wurden der Öffentlichkeit vorgestellt.

Ausgesprochenen Werkstattcharakter hatte eine Studioinszenierung, die Gertrud- Elisabeth Zillmer 1977 im Museum für Deutsche Geschichte heraus­brachte: "Zeremoniell um einen Kampf" von Claude Prin. Hier stand keine spezielle Bühne zur Verfü­gung. Der von Helga Leue schließlich gestaltete Spielraum, der gestattete, daß die Zuschauer un­mittelbar neben, ja geradezu zwischen dem Ge­schehen sitzen konnten, provozierte ungewöhnli­che theatralische Lösungen.

Auch eine Koproduktion mit dem Deutschen Thea­ter im gleichen Jahr fiel wegen des besonderen Spielraumes aus dem Rahmen. Für das Schauspiel "Die Nacht nach der Abschlußfeier" von Wladimir Tendrjakow, das Horst Schönemann im Foyer des 1. Ranges inszenierte, baute Franz Zauleck zwei gegenüberliegende Podeste - das eine für die Schüler, das andere für die Lehrer, so die Konfron­tation deutlich ins Arrangement bringend. Die Zu­schauer saßen an der Seite. Hier ergab sich für die Studenten, u.a. Franziska Kleinert, Susanne Schwab, Peter-Mario Grau und Christoph Heckel, die die Schüler spielten und als Lehrer erfahrene Darsteller zu Partnern hatten, eine Produktionssituation, die mit "Werkstatt" wohl am besten umschrieben ist.

Vorwiegend aus eigener Kraft entstand 1978 zum 80. Geburtstag von Bertolt Brecht das literarisch-­musikalische Programm "Auf den zauberischen Ka­russellen", gearbeitet allerdings von Gastregisseu­ren, von Peter Schroth und Peter Kleinert. Zur Spielgruppe gehörten Manfred Blank, Christoph Heckel, Bernd Lange, Maximilian Löser, Gerald Schaale und Jürgen Watzke. Die jugendlich-frische Begegnung mit dem frühen Brecht, mit seiner Liebeslyrik, mit sozialkritischen Gedichten, insbeson­dere die unprätentiöse theatralische Umsetzung, fanden allgemein Anerkennung. Mit dem Pro­gramm gastierte die Gruppe in Osterreich und in Westberlin.

Auch das im gleichen Jahr entstandene literarisch­-musikalische Programm "Als es November 18 war", gewidmet dem 60. Jahrestag der Novem­berrevolution, stützte sich auf Vielfalt der Mittel. "Peter Schroth und Peter Kleinert haben... keine musikalisch-literarische Nummernfolge zelebriert; hier werden Theatermittel total mobilisiert, um Ge­schichte nicht als Schulstoff zu dozieren, sondern neu und für heute erlebbar zu machen. Die lyrisch­dokumentarische Collage ist von Kontrasten getragen, insgesamt eher leise und nachdenklich, wie­wohl weder auf expressionistisches Pathos noch auf revolutionäre Emphase und agitatorischen Schwung... verzichtet wird... Wort und Musik wer­den in Gestik umgesetzt, in Pantomime, ja Choreo­graphie, in deutliche Gruppenarrangements, in Körpersprache.» (10.25) Das Programm wurde eben­falls in Westberlin gezeigt. Es spielten u.a. Eckehart Atzrodt, Rainer Gruß, Till Kretzschmar und Ullrich Müller.

Mit dem Fernsehen der DDR kam es 1980 zur Pro­duktion der selten gespielten Moliere-Komödie "Herr von Pourceaugnac" in der Regie von Ulrich Engelmann. Der Regisseur arbeitete bewusst mit sparsamsten Dekorationen, immer blieb der Studio­charakter erhalten.

Das jugendliche Spiel der Schauspieleleven wurde genutzt, um die Geschichte des geprellten Herrn von Pourceaugnac naiv und unmittelbar zu erzäh­len. Zu den Darstellern gehörten Heidrun Bartholomäus, Rainer Gruß und Michael Lucke.

 

 

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„Woyzeck“ von Büchner mit Jürgen Scheithauer

 

Ebenfalls 1980 besorgten Peter Schroth und Peter Kleinert eine Studioinszenierung im theater im palast: "Woyzeck" von Georg Büchner. "Gespielt wurde in einer kleinen Arena und auf zwei Pode­sten - die Zuschauer saßen rundum und mitten­drin... Die Regisseure hatten einen knapp-expressi­ven Stil gefunden, da war Spannung, Bewegung von Anfang an.» (10.26) So Günther Cwojdrak. Und Rainer Kerndl: "Meine anfängliche Skepsis: Wür­den zwanzig-, zweiundzwanzigjährige Schauspiel­adepten überhaupt imstande sein, die Wucht der sozialen Anklage über die expressive Dumpfheit der Figuren zu äußern, das Triebhaft-Kreatürliche spielerisch umzuformen in den sozialen Wider­stand? Die Regisseure waren klüger als meine Furcht: Mit einem ganz aufs Körperlich-Gestische gestellten Schau-Spiel lassen sie auch und gerade in den beiden Hauptpersonen — Marie und Woy­zeck - Vorgänge spielerisch "mitteilen", überfor­dern ihre jungen Darsteller nicht mit dem Versuch zu gestalteter "Nachempfindung".» (10.27) Den Woy­zeck spielte Jürgen Scheithauer, die Marie Ute Schmidt.

 

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Corinna Harfouch und Daniel Minetti

in „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ von Grabbe

 

«Die lustigste Inszenierung der Saison, eine echte Verjüngungskur für das Theater» (10.28) nannte Ernst Schumacher die im Februar 1981 im theater im palast von Helmut Straßburger und Ernstgeorg Hering besorgte Aufführung von Grabbes «Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung». Die Zustim­mung der Pressekritik war einhellig. Ernst Schuma­cher: «Das wichtigste Prinzip der Inszenierung... ist dies: Mit den Zuschauern immer auf du und du zu sein, aber sie, wie es der "romantischen Ironie" wohl entspricht, zwischendrin mal wieder zu "sie­zen", von ihnen abzurücken und gleichsam die Darsteller auf sich selber zeigen zu lassen, was für komische Vögel sie doch sind, wenn sie als deka­dente Adelige, bornierte Spießer, überschlaue Schulmeister, blasse Poeten vom Teufel, sprich Grabbe, an der Nase herumgeführt werden.» (10.29) Günther Cwojdrak schrieb: «Es ist ein Vorzug die­ser Inszenierung, daß sie dem Publikum keine "tie­fere Bedeutung" aufzuzwingen versuchte. Alles war lustig und mit leichter Hand arrangiert wor­den... Straßburger und Hering verstanden es, aus der Dimension des Stückes, zwischen Commedia dell' arte und absurdem Theater, Kapital zu schla­gen auch für die Schauspieler.» (10.30) Dieter Krebs urteilte: «Vom Teufel wäre nur zu sagen, daß er sexfach auftritt. Den sechs Damen (Antje Grabley, Corinna Harfouch, Marlies Ludwig, Karin Mikityla, Silvia Rieger, Margrit Straßburger) stehen die haut­engen Trikots und diverses Glamour-Zubehör aus­nehmend gut.» (10.31) Und Rainer Kerndl schätzte ein: «Viele Einzelleistungen wären gültig zu benennen. Was nützen knappe Adjektive, die ganze Gruppe hat's verdient... Mit Straßburger und Herings erfah­rener Hilfe haben sie in dieser Grabbe-Aufführung bewiesen, daß den Theatern des Landes bemerkenswerte junge Leute ins Haus stehen.» (10.32) Zu den „bemerkenswerten jungen Leuten“ - außer den schon genannten jungen Damen — gehörten: Astrid Krenz (Gottliebchen), Dietmar Burkhard (Schulmeister), Michael Lucke (Mollfels) und Daniel Minetti (Rattengift). Die Inszenierung wurde mit dem Kritikerpreis der «Berliner Zeitung» für junge Darsteller gewürdigt.

Im Jahre 1981 kam es außerdem zu einer Kopro­duktion mit dem theater im palast, wo Peter Schroth und Peter Kleinert Shakespeares «Romeo und Julia» einstudierten. Die Titelfiguren waren mit Studenten besetzt: Corinna Harfouch (Julia) und Thomas Rühmann (Romeo).

 

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„Der Kyklop“ von Euripides mit Harro Korn

 

Ebenfalls 1981 inszenierte Hans-Georg Simmgen im bat-Studiotheater mit Studenten des 3. Studien­jahres das Satyrspiel «Der Kyklop» von Euripides. Die Titelfigur spielte Harro Korn. Im Palast-Jugend­treff (in Koproduktion mit dem Deutschen Theater) arbeitete Erhard Marggraf das Schauspiel «Küm­mert euch um Malachow» von Waleri Agranowski. In der Titelrolle: Andreas Schumann. Im Sternfoyer der Volksbühne schließlich zeigte Gertrud- Elisa­beth Zillmer Carl Sternheims «Schule von Uznach» mit Studentinnen des 3. Studienjahres.

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

10.23 Improvisations-Seminar (schauspielerische Grundausbildung), Schauspiel-Unterricht (Szenenstudium); Sprecherziehung, Bewegung.  Zurück zum Text

10.24 HS-Archiv, Bl. A 352   Zurück zum Text

10.25  Bernhard Scheller, Als es November 18 war, Theater der Zeit, Berlin, Heft 1 /1979   Zurück zum Text

10.26 Günther Cwojdrak, Woyzeck unter uns, Weltbühne, Berlin 12.2.1980   Zurück zum Text

10.27 Rainer Kerndl, Wagnis mit "Woy­zeck" — alles in allem gelungen, Neues Deutschland 7.2.1980   Zurück zum Text

10.28  Ernst Schumacher, Scherz und Satire ernst genommen, Berliner Zeitung 12.2.1981   Zurück zum Text

10.29   Ebenda   Zurück zum Text

10.30  Günther Cwojdrak, Gestatten, Grabbe..., Weltbühne, Berlin 24.2.1981   Zurück zum Text

10.31  Dieter Krebs, Parfocejagd mit teuflischen Damen, Theater der Zeit, Berlin, Heft 5/1981; Margrit Straßburger erwarb die Bühnen­reife an der Schauspielschule auf externem Wege.   Zurück zum Text

10.32 Rainer Kerndl, Grabbe mit Phan­tasie von Studenten gespielt, Neus Deutschland 20.2.1981   Zurück zum Text

 

 

 

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