5. In
dunkler Zeit (1933-1945)
Studenten vor der „Tribüne“
5.5
Hugo Werner-Kahle - Direktor unter
zwiefacher Aufsicht
Der neue Direktor hieß Hugo
Werner-Kahle. Die Nazis hatten ihn nicht in ihre Partei aufgenommen, weil er am 1. Juni 1933 im Theater am Schiffbauerdamm
das Antikriegs-Stück «Am Himmel Europas» von Per Schwenzen und J. B. Malina
uraufgeführt hatte. Am Bühnennachweis, wo er als Disponent arbeitete, war ihm deswegen 1936 gekündigt worden. (5.31)
Über ihn und seine neue Leitung ab
September 1937 berichtete der Geschäftsführer der Reichstheaterkammer,
Gauleiter Frauenfeld, seinem Präsidenten, Rainer
Schlösser, (5.32) der zugleich Oberregierungsrat im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und «Reichsdramaturg» war: «Der Unterricht der Schule des Deutschen Theaters findet in den Räumen des Theaters ‚Die Tribüne’... statt... Die Arbeit der Schule läßt sich
günstig an. Herr Werner-Kahle ist in ständiger Verbindung mit dem Referat Berufsberatung und Unterrichtswesen. Die weltanschauliche Schulung wurde vom Geschäftsführer der Reichstheaterkammer
übernommen. Der erste Vortrag fand am 5. November statt. Zu diesem
Schulungsvortrag hat sich Herr Werner-Kahle einverstanden erklärt, die Schule Lilly Ackermann einzuladen.» (5.33)
Auf dem Schreiben findet sich am linken Rand - an der Stelle, wo davon die Rede ist, daß sich die Arbeit der
Schule günstig anläßt - die handschriftliche Anmerkung: «Das glaub ich
nicht! Signum». Und darunter: «Ich kann es nicht beurteilen. Es müßte mal
jemand von mir hingehen! Signum.»
Nun nahm der Reichsminister für Volksaufklärung und
Propaganda die Schule in den Griff. Er bewilligte Werner-Kahle am 26. Januar
1938 einen sogenannten «Reichszuschuß» als «Ersatz eines sich nach Abschluß
dieses Schuljahres etwa ergebenden Fehlbetrages... Etwa zu viel gezahlte
Beträge sind z.Zt. zurückzuzahlen...». (5.34)
Dann hieß es: «An die Bewilligung knüpfe ich noch
folgende Bedingungen: 1) Der Reichstheaterkammer wird das Aufsichtsrecht über
die Schauspielschule des Deutschen Theaters eingeräumt. 2) Ihre persönlichen
Entnahmen aus den Betriebsmitteln dürfen insgesamt monatlich den Betrag von
900,-RM... nicht übersteigen. 3) Nichtarische oder nichtarisch versippte
Personen dürfen weder als Lehr- noch als Büro- oder sonstige Kräfte beschäftigt
werden. 4) Über die Einnahmen und Ausgaben der Schule ist mir bis zum 31. März
1938 erstmals eine genaue Aufstellung zu übermitteln... 5) Dem Beauftragten des
Ministeriums ist auf Wunsch Einsichtnahme in die Geschäftsbücher und Belege des Unternehmens zu gewähren... Im Auftrag gez.
Keppler.» (5.35)
Hugo Werner-Kahles Intentionen zielten zweifellos auf
Bewahrung des künstlerischen Rufes der Schule, wobei er in Heinz Hilpert einen
verständnisvollen Partner hatte. Zu den Lehrkräften zählten jetzt u.a. Ernst
Karchow, Bruno Hübner, Elisabeth Flickenschildt, Claus Clausen, Dr. Wolfgang
Drews, Heinz Dietrich Kenter, Gertrud Braun, Hugo Werner-Kahle und später
Margrit Glaser. Studenten jener Jahre waren u.a. Tom Engel, Hans-Joachim
Kulenkampff, Regine Lange, Ingeborg Olbricht, Gabriele Hartmann, Rosemarie Gerstenberg,
Liselotte Reimann und Maria Rouvel.
Ingeborg
Olbricht beim Sprechen; ihr Ausweis
Hugo Werner-Kahle «war so gutherzig», erinnert sich
Ingeborg Olbricht, «also ich hatte das Gefühl, man hat ihn gar nicht ernst
genommen. Großen Respekt oder Angst hatte man nicht vor ihm... Damals, in der
Zeit hatte man vor jedem und allem Angst... Er hat dem Ernst Toller das Leben
gerettet und war kein Linker, vielleicht war er ein bißchen links. Es war so...
die wohnten im selben Haus. Toller wohnte wohl unter ihm. Naja, jedenfalls, man
hörte, wie die Autos unten vorfuhren, und diese Kommandos, was für Leute das
nun waren, SS oder Gestapo, man hörte, wie die die Treppe raufstürmten. Und der
Toller rannte die Treppe hoch, und Hugo Werner-Kahle machte die Türe auf und
zog ihn zu sich in die Wohnung. Der wollte aufs Dach oder übers Dach... Und sie
haben abgewartet, bis die wieder gegangen sind... Das ist eine anständige Haltung.
Vielleicht war er ein Mitläufer... sonst wäre er doch nicht
Direktor geworden.» (5.36)
Gertrud Borck schrieb über ihren Chef: «Ein
ausgezeichneter Schulleiter, kein Pg, ein Mann mit Rückgrat, der den Schülern
wirklich ein ‚Schauspielschulvater’ war. Wir hatten sorglose Zeiten, waren zwar
kein ‚Widerstandsnest’, aber konnten immer frei weg reden, Kritik am Dritten
Reich üben und brauchten trotz der hohen Subvention durch die
Reichstheaterkammer durchaus nicht zu Kreuze kriechen.» (5.37)
Der neue Direktor hatte gleich zu Beginn seiner Tätigkeit
folgende Ergänzung in die Satzung der Schule aufgenommen: «Von jedem Schüler
wird eine intensive eigene Arbeit gefordert. Die Lehrer sind nicht dazu da, in
den Stunden mit dem Schüler die Kleinarbeit sorgfältigen "Übens"
nachzuholen, die er zu Hause zu tun unterläßt. Zeigt sich, daß der Schüler
diesen eigenen künstlerischen Trieb nicht besitzt, so ist dem Lehrer nicht
zuzumuten, mit ihm weiter zu arbeiten. Wer sich lediglich vom Lehrer
"schieben" läßt, gehört nicht zu dem Nachwuchs, für dessen Ausbildung
die Schule allein ihre Arbeit einsetzen kann.» (5.38)
Es kam tatsächlich zu einer merklichen Verbesserung.
Regine Toelg-Lange: «Das lief in einer ganz anderen, viel disziplinierteren
Form als vorher... Da waren die Stunden mit einem Plan festgelegt. Wer nicht
kam, wurde zur Rechenschaft gezogen... Es hatte ein völlig anderes Niveau,
sowohl vom Äußeren, als auch von der künstlerischen Art her...“
(5.39)
Der Auftrieb wurde auch im Referat VI des
Goebbels-Ministeriums registriert, wie aus einer Notiz auf einem Dienstzettel
hervorgeht: «Am 29.4. nahm ich den Leistungsnachweis in der Schule des
Deutschen Theaters ab und erlebte damit die beste von allen bisher geleiteten
Prüfungen... Mit diesem... guten Resultat und auch nach meinem Eindruck wird
die Schule des Deutschen Theaters als die disziplinierteste, künstlerisch
entwicklungsfähigste Schauspielschule anzusprechen sein...» (5.40)
Solch Lob war nicht unbedingt schmeichelhaft.
Der Einfluß,
den sein Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und die
Reichstheaterkammer auf die Schauspielerausbildung nahmen, genügte Goebbels
nicht. Obwohl gelegentlich Gauleiter A. E. Frauenfeld ehrenamtlich
nationalsozialistische Propagandavorträge hielt, auch an den Abschlußprüfungen
teilnahm, (5.41) blieb die Wirkung aus der Sicht der Nazis
unbefriedigend. (5.42) Goebbels erwog die Auflösung der
Berliner Schauspielschulen.
Im Juni 1938 proklamierte er «anläßlich der 5.
Reichstheaterfestwoche in Wien die Gründung einer Reichstheaterakademie». (5.43) In der «Besprechungsgrundlage» des Gauleiters A. E.
Frauenfeld hieß es unumwunden: «Die Reichstheaterakademie... ist nur dann als
ein wertvolles Erziehungsmittel des Bühnennachwuchses denkbar, wenn ihr das
breite Fundament einer gut durchorganisierten und genauest von der
Reichstheaterkammer kontrollierten Lehrerschaft gegeben wird... » (5.44) Im Nachtrag schrieb er, «daß die Schaffung der
Reichstheaterakademie in Berlin einigen Lehranstalten die Existenz
einschränken, wenn nicht gar nehmen werde, weshalb diese Anstalten mit ihrem
Lehrer- und Schülerbestand in die neu zu errichtende Akademie übernommen werden
sollten. Auf dem Gebiet des Schauspiels würde es sich in erster Linie um die
bei Beginn dieser Spielzeit reorganisierte Schule des Deutschen Theaters Berlin handeln sowie um die Schule Ackermann.» (5.45) Lediglich Gründgens' Staatliche Schauspielschule —
«bei ihrer geringen Schülerzahl und ihrem hohen Ruf» (5.46) - sollte neben der
Akademie bestehen bleiben.
Als Leiter der Abteilung Schauspiel war Hugo Werner-Kahle
vorgesehen. Die Reichstheaterkammer teilte Goebbels mit: «Die Abteilung
Schauspiel unter ihrem Leiter Hugo Werner-Kahle wird voll übernommen. Die jetzt
schon stattfindenden Prüfungen für die Schauspielschule des Deutschen Theaters
sind in ihren Erfordernissen bereits auf die Schauspielschule der Akademie
eingestellt.» (5.47) Goebbels ließ einen «Erlaß des
Führers und Reichskanzlers über die Errichtung der Deutschen Theater-Akademie»
ausarbeiten, dessen §1 lautete: «Zur Sicherung des Nachwuchses für die
deutschen Bühnen und seiner Heranbildung im Geiste des Nationalsozialismus wird
die Deutsche Theater-Akademie als Anstalt des Reichs errichtet.» (5.48) Aber der Reichsminister der Finanzen fegte das
Millionen-Projekt vom Tisch. (5.49) Alle Versuche,
andere Finanzquellen zu erschließen, scheiterten. Die Weichen waren auf Krieg
gestellt.
Fechtunterricht im Hof der
„Tribüne“
Anmerkungen:
5.31
Vgl. Hugo Werner-Kahle, Information über meine Zugehörigkeit zur NSDAP und meine Rehabilitierung bzw. Entnazifizierung am 21. Februar
1947, Stadtarchiv Berlin, Sign. Rep. 120, Nr. 2432, Anlage Zurück zum Text
5.32 Herbert
Jhering: «... eine der beschränktesten
Persönlichkeiten der Theatergeschichte,
ein Schüler des Teutonen Adolf Bartels, der ohne den Zwang politischer Maßnahmen
niemals den geringsten Einfluß
erhalten hätte, war zwölf Jahre lang
Reichsdramaturg: Doktor Rainer
Schlösser. In ihm vollzog sich die
Eroberung Berlins durch die Reaktion
und Deutschlands durch einen kleinen Weimarer Literatenklüngel. Seine Methode war nicht das offene Wort, nicht die freie und vielleicht harte, schicksalbildende Handlung, sondern die kleinliche Schikane, das jämmerliche Wenn und Aber, die eitle
Falschheit, die verlegene Heimtücke.
Durch ihn wirkte das Wort des antisemitischen Literaturhistorikers und schriftstellernden
Banausen Adolf Bartels verhängnisvoll
in die Gegenwart.» (Berliner Dramaturgie, Berlin 1948, S.23) Zurück zum Text
5.33 Zentrales Staatsarchiv Potsdam, Promi, Akte-Nr. 280, Bl. 41 und 41Rs
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5.34
Ebenda, Bl. 64 und 64Rs Zurück zum Text
5.35 Ebenda Zurück zum Text
5.36
Gespräch mit Ingeborg Olbricht v. 18.7.1985, HS-Archiv, Tonb.-Aufz. Zurück zum Text
5.37 Brief v. Gertrud Borck an Hans Kaufmann v.
19.12.1947, HS-Archiv, Bl. 611 Zurück zum Text
5.38 Brief v. Hugo Werner-Kahle an den Leiter des Amtes für Kunst der
Stadt Berlin, Herrn Bork, v. 3.11.1947,
Stadtarchiv Berlin, Sign. Rep. 120,
Nr. 2432, Bl. 42 Zurück
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5.39 Gespräch m. R. Toelg-Lange v. 23.9.1985,a.a.O. Zurück zum Text
5.40 Zentrales
Staatsarchiv Potsdam, Promi, Akte-Nr. 280,
Bl. 77 Zurück zum
Text
5.41 Ingeborg Olbricht: «Ein Kerl war bestimmt dabei, das war
dieser Gauleiter Frauenfeld. Der hat mich in der Prüfung zum Beispiel gefragt, was der Mythos des zwanzigsten
Jahrhunderts wäre. Und da habe ich gesagt,
das weiß ich gar nicht. Was ist denn das?» Gespräch m. I. Olbricht, a.a.O. Zurück zum Text
5.42 Wilhelm Koch-Hooge: «Ich muß sagen, in der Schule — Nazigeist herrschte da nicht.»
Gespr. m. W. Koch-Hooge, a.a.O.; Regine Toelg-Lange: «Wenn ich mir die Menschen ansehe, die da
waren, vorneweg Hilpert, die Flickenschildt,
Kenter, das waren alles hundertprozentig
keine Nationalsozialisten. Der Hugo Werner-Kahle
mußte sich natürlich mit dem Winde
drehen...» Gespr. m. R. Toelg-Lange,
a.a.O. Zurück zum
Text
5.43 Zentrales
Staatsarchiv Potsdam, Promi, Akte-Nr. 466,
Bl. 25
5.44 Ebenda, Bl. 5
5.45 Ebenda, Bl. 20 Zurück zum Text
5.46 Ebenda, Bl. 21
5.47 Ebenda, Bl. 106
5.48 Ebenda, Bl. 114
5.49 Ebenda, Bl. 115 Zurück zum Text
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Vortrag“