„Die falsche Zofe“ von Marivaux im 3.Stock der Volksbühne Berlin, Regie Stefan Bachmann

 

 

 

Grobianische Clownerie

 

Arlequin hängt, offenbar schla­fend, an zwei Drahtseilen vor Watteaus „Einschiffung nach Kythera". Das Gemälde hin­wiederum hängt als Vorhang im dritten Stock der Berliner Volksbühne. Beides zusam­mengenommen ist ein drasti­scher malerischer Prolog für die Komödie „Die falsche Zofe" des Franzosen Pierre Carlet de Chamblain de Marivaux (1688-1763). Ausgedacht hat sich's Jungregisseur Stefan Bachmann. Und was er schon mit dem Auftakt vermuten ließ, be­stätigte der Abend.

Es ging dem Spielleiter nicht um feinsinnige Empfindungen à la Marivaux, um ein Liebes­spiel nach der Etikette des Ro­koko, sondern um ein Spekta­kel nach der Art des Hauses. Nicht kokettierende Verspielt­heit, gar nicht erst der Ver­such, irgendwie die berühmte „Marivaudage" schauspielkünstlerisch zu entdecken, sondern a priori grobianische Clownerie. Beispiele: Säbel in den Rachen des Chevalier, der falschen Zofe (Ursula Ofner), stecken. Auf hoher See ko­misch über die Reling kotzen. Sich mit Säbeln mehrmals gegenseitig durchbohren, aber weiterleben. Unzählige MP-Salven abfeuern auf den im Todeskampf zappelnden, dann aber weiterlebenden Arlequin (Isabella Parkinson). Die Gräfin (Susanne Wagner) auf der Spielrampe festpinnen. Trivelin (Bruno Cathomas) unter des Chevaliers Kleidung die Frau erschnuppern lassen. Geld auf­essen und dann per Kuß um­verteilen.

Bachmann mobilisiert Phan­tasie, um auf der Bühne äußer­liche, artistische Betriebsamkeit zu erreichen. Er entwickelt wenig Aufmerksamkeit für das intime, geistreichelnde Intri­genspiel um Liebe und Geld. Daher auch nimmt er Dialoge nicht als Inhalte, die prononciert zu vermitteln wären, son­dern als Aufsagematerial am Rande allgemeiner Katzbalge­reien, die mit ordinären Text­zusätzen „aufgepeppt" sind. Armselige Theaterei im Grun­de das alles.

Zu zwei Fragen sieht man sich provoziert: Von Castorf über Kriegenburg bis zu Bachmann - letztlich nur noch eine Handschrift an diesem Haus? Ob Shakespeare, Marivaux oder Heiner Müller - stets der gleiche Grotesk-Stil? Nicht ganz und gar, will mir schei­nen. Der Hausherr zumindest bemüht sich um Motive, um beredte, seiner Fabel dienende szenische Metaphern, so trivial sie auch sein mögen.

 

Neues Deutschland, 2. Mai 1994