8. Der neue Darsteller (1951- 1962)

 

 

 

 

 

 

8.9  Experiment am Landestheater Parchim

 

Im Sommer 1960 kam es zu einem Experiment mit dem Landestheater Parchim. Die Anregung gab die Freie Deutsche Jugend. «Die FDJ-Vollversammlung des 3. Studienjahres der Staatlichen Schauspielschule Berlin hatte am 2. Februar 1960 den Einsatz des 3. Studienjahres zum Inhalt. In der Diskussion kam das gesamte 3. Studienjahr zu dem Entschluß, dem Vorschlag des Ministeriums für Kultur, die Absolventen des Jahrganges 1960 für zwei Jahre an kleinere Bühnen zu verpflichten, zuzustimmen... Wir bitten, das gesamte 3. Studienjahr als Kollektiv geschlossen an ein Theater (Landestheater Parchim) zu delegieren.» (8.126)

 

 

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Dietlind Stahl, Absolventin 1960

 

Zugleich baten die Studenten um künstlerische Kontrolle der kleinen Theater, den Einsatz von Regisseuren und um eine schnellere Folge der Premieren. Zur Gruppe gehörten Dietlind Stahl, Jochen Nitzel und Dieter Schaarschmidt. Die Studenten waren «der Meinung, mit dieser Verpflichtung einen wirksamen Beitrag zur Kulturrevolution zu leisten und die zum obersten Prinzip gewordene kollektive künstlerische Arbeit planmäßig weiterzuentwickeln.» (8.127)

Sie kamen also mit hochfliegenden Plänen in die mecklenburgische Kreisstadt. Was sie an der Schule an neuen Erkenntnissen und Fähigkeiten in sich aufgenommen hatten, hofften sie unmittelbar in die Praxis umsetzen zu können. Doch die Bedingungen an dem kleinen Haus erforderten ein hohes Maß an gegenseitigem Verständnis. Die Theaterleitung war wenig geneigt, den auf das vorwiegend ländliche Publikum zugeschnittenen Spielplan für die Ambitionen der jungen Darsteller abzuändern. Immerhin wurde nach harten Auseinandersetzungen so viel Übereinstimmung erzielt, daß nach Ablauf von zwei Jahren eine zweite Absolventengruppe nach Parchim ging.

 

 

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Heinrich Buttchereit              Jürgen Rothert

Absolventen 1962

 

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Klaus-Peter Thiele                 Horst Ruprecht

Absolventen 1962

 

 

Doch diese Gruppe — zu der Heinrich Buttchereit, Helga Kapelle, Jürgen Rothert, Horst Ruprecht und Klaus-Peter Thiele gehörten — nahm schon im November 1962 sehr kritisch Stellung. Sie beklagte, daß der Spielplan nicht auf sie bezogen sei, dass der Oberspielleiter seine Proben hinter verschlossenen Türen durchführte und daß eine aktive Mitarbeit des Ensembles offenbar nicht gebraucht werde. (8.128) Obwohl daraufhin Regisseure wie Emil Stöhr und Wolf-Dieter Panse in Parchim inszenierten, gelang es nicht, einen grundlegenden Wandel am Landestheater herbeizuführen. Ganz offensichtlich läßt sich die Theaterkonvention einer Stadt nicht so schnell verändern, wie junge, auf Entwicklung drängende Künstler hoffen.

Zu den Absolventen der Jahrgänge dieser Zeit gehörten Künstler, die sich alsbald im Lande einen Namen machten. Nicht nur ihr Selbstvertrauen war merklich gewachsen, auch ihre künstlerischen Fähigkeiten. Helga Hahnemann avancierte zu einem Star der Unterhaltungs-Medien, Horst Ruprecht profilierte sich als Regisseur (seine drastisch-kräftige Handschrift prägte über Jahre die Bühne in Magdeburg), Heinrich Buttchereit, Victor Deiß und Manfred Karge behaupteten sich am Berliner Ensemble, Eckehard Strehle am Berliner Maxim Gorki Theater, Marie Anne Fliegel am Theater in Halle. Veronika Drogi fand als Pädagogin an ihre Schule zurück.

 

 

 

drogi   deist   hahnemann

Veronika Drogi             Victor Deiß                     Helga Hahnemann

Absolventen 1959

 

 

 

Anmerkungen:

 

 

8.126 Joachim Bober, Der Nachwuchs steht nicht abseits, Theater der Zeit, Berlin 1960, Heft 5, Seite 33    Zurück zum Text

8.127 Vertrag zwischen Landestheater Parchim und Schauspielschule Berlin, Archiv M. f. K., o. Sign.   Zurück zum Text

8.128 Stellungnahme der Absolventengruppe, Archiv M. f. K., o. Sign.    Zurück zum Text

 

 

 

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