6. Der Neubeginn (1945 – 1951)

 

 

borck,gertrud

Gertrud Borck,

Chefsekretärin,

der gute Geist der Schule

 

6.2  Interregnum in Büroräumen

Parallel zu den Aufräumungsarbeiten und ersten Proben im Deutschen Theater verliefen die Bemühungen, auch die Schauspielschule zu neuem Leben zu erwecken. Hugo Werner-Kahle, der sich ab 15. September 1945 wieder als Leiter der Schule engagierte, (6.14) und Gertrud Borck, seine Sekretärin, hatten bereits im Sommer 1945 ehemalige Absolventen zusammengerufen. (6.15) Im Foyer der unzerstörten «Tribüne» wurden im Rahmen einer kleinen Feier Möglichkeiten künftiger Arbeit erörtert. Aber zunächst war für Berlin wichtig, in der «Tribüne» Theater zu spielen (unter der Direktion von Viktor de Kowa). Daher wurde die Schauspielschule in die erhalten gebliebenen Büroräume des zerstörten Schiller-Theaters umquartiert, was den Unterrichtsbeginn um ein Jahr verzögerte. Impulse für jene, die die Initiative ergriffen, kamen von der Ersten Zentralen Kulturtagung der KPD im Februar 1946, auf der Wilhelm Pieck u.a. sagte: «Wir wollen alle zu gemeinsamer Arbeit zusammenführen, den hochbegabten Professor und den jungen Studenten, den alten erfahrenen Schauspieler und den jungen Theaterschüler, den alten erprobten Pädagogen und den sich umschulenden Neulehrer.» (6.16)

Gustav von Wangenheim aber sah in Hugo Werner-Kahle keinen Partner. So endete dessen Wirken für die Schule am 8. Mai 1946. (6.17) Hugo Werner-Kahle wurde zwar am 21. Februar 1947, ein halbes Jahr vor seinem 65. Geburtstag, entnazifiziert, war jedoch als Erzieher des künstlerischen Nachwuchses nicht mehr denkbar. Immerhin gestatteten die noch von ihm getroffenen Vorbereitungen, ab 1. Juli 1946 (6.18) unter der Leitung von Rudolf Hammacher mit der Ausbildung zu beginnen. Subventioniert wurde die Schule vom demokratischen Berliner Magistrat.

 

 

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Rudolf Hammacher mit Studenten

 

«Ich hatte 1946», erinnert sich Hildegard Buchwald-Wegeleben, «eine Studienkollegin, die wohnte neben Paul Bildt... und übern Gartenzaun sagte Paul Bildt zu ihr: "Sagen Sie mal, Sie sind doch Tänzerin gewesen, und wir machen jetzt die Schauspielschule des Deutschen Theaters wieder auf, da brauchen wir unbedingt jemand, der denen ein bißchen Bewegungs-Unterricht gibt." Und da haben wir gleich zu Beginn, als die Schule wieder aufgemacht wurde, in der Grolmannstraße unterrichtet.» (6.19) Die Kollegin hieß Gertrud Oswald und arbeitete als Lehrerin für Gymnastik, Hildegard Buchwald-Wegeleben war ihre Assistentin.

Zu den die Arbeit neu aufnehmenden Lehrkräften gehörten: Gabriele Hessmann, Lehrerin für Sprechtechnik und Rollenstudium (ab 1. Juni 1946), Gerda Müller, Lehrerin für Rollenstudium (ab 10. September 1946), Agnes Windeck, Lehrerin für Rollenstudium (ab 21. November 1946), Margarete Langheinz, Lehrerin für Sprechtechnik (ab. 1. Juni 1946) sowie Inge von Wangenheim, Lehrerin für Szenenstudium und für Theatergeschichte (ab 15. Juni 1946) und Armin-Gerd Kuckhoff, Lehrer für die Regieklasse (ab 27. August 1946). (6.20)

Armin-Gerd Kuckhoff hat allerdings nie Unterricht erteilt, obwohl am 1. Juli 1946 mit vier Schülern eine Regieklasse eröffnet wurde. (6.21) Die Bedingungen machten eine solche Spezialausbildung vorerst unmöglich. Die Schule wurde zwar vom Deutschen Theater her verwaltet, aber die Verbindung war sehr lose, im künstlerischen Bereich nicht nennenswert. «Ich weiß nur», erklärt Armin-Gerd Kuckhoff, «daß sie in den Besprechungen des Theaters kaum eine Rolle gespielt hat damals. Dann kam aber ein Moment, wo der Gustav anfing, sich für diese Schule zu interessieren, kurz bevor er wegging... Und da bat er mich, mich darum zu kümmern... Das war damals schon die Zeit, Ende 46, Anfang 47, wo der kalte Krieg sich bereits abzuzeichnen begann, wo in den westlichen Besatzungskommandanturen die antifaschistischen Kräfte rausgezogen wurden und die Regierungspolitiker hineinkamen. Das war sehr deutlich zu merken... wie das kühler wurde, am deutlichsten bei den Amerikanern... In dieser Zeit habe ich bei Gustav Alarm geschlagen und habe gesagt, die Schule ist im Westsektor. Damals war noch keine Spaltung offiziell in Sicht, aber ich sagte, dort haben wir praktisch gar keinen Einfluß auf sie.» (6.22)

 

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Gustav von Wangenheim (r.) und Wolfgang Langhoff

 

 

Nach dem Intendantenwechsel am 1. September 1946 am Deutschen Theater —Wolfgang Langhoff übernahm die Leitung — und einer ersten Stabilisierung der Arbeit an der Schule wurden die Beziehungen wieder enger und alte Traditionen lebten auf. Zum Beispiel nahm der Intendant des Deutschen Theaters wieder Einfluß auf die Auswahl der Bewerber.

Hannes Fischer, Schüler des zweiten Jahrganges, 1949 erster Schweizerkas von Brechts berühmter Inszenierung von «Mutter Courage und ihre Kinder», später Regisseur am Staatsschauspiel Dresden, weiß zu berichten: «Vorsprechen bei Langhoff! Ich machte einen finsteren Schurken, den Leonhard aus "Maria Magdalena". Die Szene war eigentlich mehr für Sabine Krug ausgesucht; wir kannten uns und waren zusammen hingegangen. Langhoff sagte später, es sei ziemlich scheußlich gewesen, was ich gemacht hätte, aber ihn hätte die Anlage der Szene, also das Regieliche interessiert. Das Vorsprechen fand auf der Bühne des Deutschen Theaters statt.» (6.23) Horst Schönemann (nach dem Studium Regisseur am Deutschen Theater, in Magdeburg und am Staatsschauspiel Dresden) bestätigt die damalige Einflußnahme des Intendanten: «Im Frühjahr 1948 auf der Bühne des Deutschen Theaters Langhoff den Ferdinand vorgesprochen, ab da Besuch der DT-Schauspielschule.» (6.24)

Einzelne Unterrichte wurden nun wieder in den Räumen des Deutschen Theaters erteilt, auch dies war eine Entscheidung Wolfgang Langhoffs. «Wir hatten ja ganz wenig Räume», erzählt Irma Münch, Schülerin ab 1948, später Schauspielerin beim Fernsehen der DDR, «die ganze Technik, Sprechen und Tanz, das alles fand ja am Deutschen Theater statt. Wir pendelten ständig zwischen Schiller-Theater und Deutschem Theater.» (6.25)

«Ich weiß gar nicht», so Hannes Fischer, «ob es außer Schulleiter Hammacher und der rührenden ältlichen Sekretärin Borck noch fest angestellte Mitarbeiter, also Lehrkräfte, gab.» (6.26) Es gab sie. Die eigentliche pädagogische Kraft und Autorität der Schule war allerdings nicht Hammacher, sondern Gerda Müller. Wenn sie seelenruhig ihr berühmtes «Quaarrk!» (6.27) sagte, war die Sache entschieden. «Meine Erinnerungen an das, was wir auf der Schule gelernt haben, sind dünn», resümiert Hannes Fischer. «Eigentlich sind's Persönlichkeitswirkungen von Leuten, die auf mich einen starken Eindruck machten: Gerda Müller, Agnes Windeck, die Sprechpädagogin Langheinz. Bei Gerda Müller war imponierend, wie sie in einem Kraft mobilisierte und einen da keine Sekunde ausließ. Agnes Windeck war behutsamer, sie spürte mehr den Möglichkeiten der Worte nach.» (6.28)

 

 

 

Anmerkungen:

 

6.14    Mit Datum v. 11.8.1945 wandte sich der Leiter des Referats Theater, Funk, Musik (Sitz Grolmannstr. 70/71, Schiller-Theater) des Magistrats an Gustav v. Wangenheim: «Sehr geehrter Herr Intendant! In der Angelegenheit der Schauspielschule des Deutschen Theaters (Hugo Werner-Kahle) halte ich eine baldige Aussprache für dringend erforderlich. Falls Sie Ihr Weg in den nächsten Tagen in die Nähe meines Büros führt, bitte ich um Ihren Besuch.» Unterschrift unleserlich, Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 1467, Bl. 88     Zurück zum Text

6.15     Gabriele Hartmann (Absolventin 1938): «Im Hochsommer 1945 hat Fau Borck versucht, die Schüler der Abschlußklasse 1938 zu erreichen, teils telefonisch, teils brieflich, und hat eine Anzahl auch einladen können. In der "Tribüne" wurden wir sehr feierlich empfangen, da kann ich mich sehr gut erinnern. In dem Foyer war ein kleines Büffet aufgebaut — damals eine große Sensation. Es gab sogar Sekt zum Anstoßen. Wir haben dann in Gesprächen Erinnerungen wach werden lassen, aber es wurde auch schon von der Zukunft gesprochen. Da sprach Frau Borck davon, sie möchte das Archiv gern weiterführen und hoffe, in dem kleinen Büro erst mal bleiben zu können. Da waren scheinbar noch gar keine Vermutungen, in einem anderen Theater untergebracht zu werden. Sie fragte, ob der eine oder andere von uns mithelfen könne... Dann kam irgendjemand von der Presse. Er wollte fotografieren. Wir waren natürlich alle ein wenig ernst noch und machten sicher ziemlich tragische Gesichter. Der Reporter bat, sagen Sie doch alle mal "Tschiess". Plötzlich lachte Hugo Werner-Kahle schallend los. Damit war das Eis gebrochen.» Gespräch m. G. Hartmann, a.a.O.     Zurück zum Text

6.16    Wilhelm Pieck, Reden und Aufsätze, Bd. II, Berlin 1951,S.46     Zurück zum Text

6.17    Vgl. Hugo Werner-Kahle, Information..., a.a.O.; vgl. auch Brief v. Gertrud Borck an Hans Kaufmann v. 19.12.1947     Zurück zum Text

6.18    Vgl. Schauspielschule d. Deutschen Theaters, Liste der Lehrer, Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 2431, Bl. 3     Zurück zum Text

6.19    Gespräch m. Hildegard Buchwald-Wegeleben v. 19.7.1985, HS-Archiv, Tonb.-Aufz.     Zurück zum Text

6.20    Schauspielschule d. Deutschen Theaters, Liste d. Lehrer, a.a.O.

6.21     Schauspielschule d. Deutschen Theaters, Schülerliste, Stadtarchiv Berlin, Rep. 120, Nr. 2431, Bl. 4    Zurück zum Text

6.22     Gespräch m. Armin-Gerd Kuckhoff, a.a.O.; vgl. auch «750 Jahre Berlin — Thesen»: Zur Durchführung der Bestimmungen des Potsdamer Abkommens waren im Sommer 1945 Truppen der drei Westmächte in ihnen zugewiesene Besatzungssektoren in Berlin eingezogen. Diese «Teilnahme von Truppen der USA, Großbritanniens und Frankreichs an der Besetzung Berlins berührte nicht die Zugehörigkeit ganz Berlins zur sowjetischen Besatzungszone...» In: Neues Deutschland, Berlin 14./15.12.1985     Zurück zum Text

6.23    HS-Archiv, Bl. B 63     Zurück zum Text

6.24    HS-Archiv, Bl. B 61     Zurück zum Text

6.25    Gespräch m. Irma Münch v. 19.7.1985, HS-Archiv, Tonb.-Aufz.

6.26    HS-Archiv, Bl. B 63

6.27    Gespräch m. Irma Münch, a.a.O.

6.28    HS-Archiv, Bl. B 63     Zurück zum Text

 

 

 

 

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