9. Die Herausforderung Brecht  (1962 – 1975)

 

 

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9.8  Jürgen Gosch wird Regisseur

 

Der am 9.September 1943 in Cottbus geborene Jürgen Gosch begann sein Studium 1961. Dass in ihm ein Regietalent schlummerte, ahnte vielleicht der eine oder andere Lehrer, war aber ansonsten nicht auffällig geworden. Auffällig indessen war, dass sich Gosch am Ende des Studiums für ein Engagement in Parchim entschloss; denn er hatte im ersten Studienjahr noch miterlebt, welche Kunde von den Studenten kam, die sich als zweite Gruppe dorthin verpflichtet hatten. Entscheidend für ihn war, dass er in Parchim mit dem Regisseur Fritz Marquardt arbeitete, unter dessen Regie u.a. den Doktor in Büchners „Woyzeck“ spielte.

Nachdem Jürgen Gosch 1967 nach Potsdam gewechselt war, inszenierte er dort engagiert Brechts „Die Gewehre der Frau Carrar“ und machte damit auch in Berlin auf sich aufmerksam. Fritz Marquardt, inzwischen an der Volksbühne, holte ihn für Molières „Menschenfeind“. Gleichsam über Nacht im Rampenlicht der Öffentlichkeit stand Gosch dann 1978 mit seiner Inszenierung von Büchners „Leonce und Lena“, bei welcher Aufführung durch nachdrückliches Zuschlagen von gut einem Dutzend Türen vor allem ein Eingeschlossensein von Leonce und Lena assoziiert wurde. Die Anspielung auf die Berliner Mauer nahmen ihm die Geldgeber übel und untersagten die Aufführung – Jürgen Gosch verließ Berlin und wechselte in den Westen Deutschlands.

Unstetigkeit erwartete ihn, auch Entgegenkommen. Er inszenierte Kleists „Prinz Friedrich von Homburg“ in Hannover (1979/80), Shakespeares „Hamlet“ in Bremen (1980), Gorkis „Nachtasyl“ (1981), Büchners „Woyzeck“ (1982) und Molières „Menschenfeind“ (1983) in Köln und Kleists „Penthesilea“ am Thalia Theater Hamburg (1985).

Seine erste Rückkehr nach Berlin verlief ausgesprochen unglücklich. Er geriet in ein sogenanntes „organisatorisches Tief“ der Schaubühne, wohin er 1988 als künstlerischer Leiter verpflichtet wurde. Seine Antritts-Inszenierung, Shakespeares „Macbeth“, wurde nach Meinung des westberliner Feuilletons ein „Desaster“. Die Vollversammlung der Schaubühnen-Mitglieder verlangte seine Absetzung. Gosch hatte auf den bislang vor allem von Peter Stein am Haus gepflegten Natürlichkeits-Stil keine Rücksicht genommen und war mit seiner drastischen Sachlichkeit – Ironie der Geschichte - erneut „angeeckt“ in Berlin.

Wieder folgten Jahre der Unstetigkeit. 1993 jedoch holte ihn Intendant Thomas Langhoff zurück nach Berlin ans Deutsche Theater. Hier stellte sich ein inzwischen gereifter Theaterregisseur originärer Handschrift vor, konkret realistischem Spiel verpflichtet, sich selbst gegenüber dem Autor zurücknehmend, stets bemüht, wesentlich zu sein und der Poesie des Kunstwerkes ins lebendige Bild zu verhelfen.

Über seine Inszenierung des „Prinz Friedrich von Homburg“ von Kleist schrieb ich: „...ich hatte meine Schwierigkeiten herauszufinden, zu wessen höherer Weihe Kleists Schauspiel „Prinz Friedrich von Homburg" in der Regie von Jürgen Gosch auf den Spielplan des Staatstheaters des Landes Berlin geraten ist. Gewiß nicht, weil sich mit diesem Klassiker vaterländisch deutsche Ideologie, sprich Militanz, aufmöbeln läßt. Bei solcher Absicht hätte die Regie den Helden nicht so nachhaltig demontieren dürfen... Indessen: Ich bin mir nicht gewiß, ob Jürgen Gosch tatsächlich beabsichtigte, den Prinzen Friedrich Arthur von Homburg als reinen Milchbart vorzuführen. Ihm ist's widerfahren, möcht' ich behaupten. Er hat dem Kleist mit bedächtiger Gründlichkeit nachgespürt, hat vor allem die Widersprüchlichkeiten des jungen Arthur, des Generals der Reiterei, aufzudecken versucht. Nicht zufällig wird bei ihm die Begegnung des Prinzen mit der Kurfürstin und mit Prinzessin Natalie zur zentralen Szene. Der hohe Militär entpuppt sich als windig-wendige Seele, die am Leben hängt, auf alle Liebe zu Natalie pfeift und gern auf den Gütern am Rhein im Schweiße säen und ernten möchte... Gosch wollte nicht zurück zu irgendeinem Pathos des Klassizismus, sondern voran zu subtil-realistischer Natürlichkeit...“ (9.49)

Ein Jahr später zeigte Jürgen Gosch „Warten auf Godot“ von Samuel Beckett und zugleich einmal mehr seine behutsame Art, beredt zu sein, die poetische Idee eines Werkes zu etablieren, ohne aufdringlich zu wirken. Ich schrieb: „Regisseur Jürgen Gosch... ist mit seiner zwischen Ernst und Komik werktreu ausgewogenen Inszenierung sogar auffallend zurückhaltend, was irgendeine Deutung betreffen könnte... Als Wolfgang Engel das Stück 1987 in Dresden vorstellte, besetzte er jung, und die beiden Landstreicher hatten nicht nur deftig clowneske Züge, auch allerhand jugendliche Unbekümmertheit. Es schien, als warteten zwei in Arbeitslosigkeit Entlassene geduldig und ergeben auf einen Boss, der ihnen möglicherweise einen Job verschaffen könnte. Als Siegfried Höchst das Stück 1988 an der Berliner Volksbühne inszenierte, machte er auf das Untätigsein der Wartenden aufmerksam. Zwei Menschen „verspielten" so ahnungs- wie tatenlos ihre Zeit. Das schien der hintersinnige wie frappierende philosophisch-kritische Pfiff dieses der Commedia dell'arte entwachsenen Narrengaudis zu sein. Nun bei Jürgen Gosch am DT Beckett sozusagen pur und in schöner Ausführlichkeit... Die Akteure, von Johannes Schütz jeweils mit Melone und schwarzem Anzug ausstaffiert, an Charlie Chaplin erinnernd, bieten rundum eine melancholische Nabelschau des elenden Homo sapiens... Wenn Michael Maertens als grauköpfiger Intellektueller, von den Umständen kaputtgemacht, sein Statement gibt, sein „Man weiß nicht warum" herausschreit, tief empfunden und Empfindungen auslösend, fügt sich der Höhepunkt des Abends. Vor allem, als sich Estragon und Wladimir als willige Spießgesellen Pozzos entpuppen und mit ihm erbarmungslos auf Lucky einschlagen. So wird geistiger Anspruch auf dieser Welt zum Schweigen gebracht.“ (9.50)

Gosch, der sich im Spielplan gern zwischen Molière und Kleist aufhält, griff auch zur Gegenwart. Mit „Zurüstungen für die Unsterblichkeit“ von Peter Handke wandte er sich einem aktuellen umstrittenen Stück zu. Als Claus Peymann das Werk im Winter 1996/97 am Wiener Burgtheater uraufführte, war zu lesen, Handke sei politisch nicht ernst zu nehmen. Wenn der Autor zwischen all seiner bildungsbeflissenen Wortschwelgerei mit einem dramaturgischen Uralt-Mittel wie der Fabel etwas erzählt, dann von seiner verborgenen, nicht ausgesprochenen Sorge über das schier unaufhaltsame neuerliche Aufkommen dubios nationalen, irgendwie faschistoiden, letztlich unverhohlen faschistischen Ungeistes und Verhaltens. „Und Jürgen Gosch ist es zu danken,... daß die Gefahr nicht zer-, sondern vorgespielt wird. Das geht zu wie leider im richtigen Leben. Die Mehrheit der Enklaven-Bewohner debattiert herauf und herunter über die Möglichkeiten, mit der Zukunft fertig zu werden, und ein Häuflein zwielichtiger Fanatiker, von Handke »Raumverdrängerrotte« genannt, mischt sich immer dreister ein, strebt fast unbehindert zur Macht. Gosch läßt nicht zu, daß diese Rotte harmlos erscheint. Mal agieren die Herren halbnackt und glatzköpfig, mal als Ranger, dann als perfekte Bürger; mal prügeln sie brutal, legen nebenbei irgendeinen letzten König um, dann wieder sind sie scheißfreundlich.“ (9.51)

Gosch, phantasievoller Erfinder charakteristisch genauer Figuren, löst sie - vertrauend auf die Phantasie der Zuschauer - zunehmend gern aus ihrem vorgegebenen Milieu. Deutlich wurde dies bei seiner Inszenierung von Shakespeares Märchenkomödie »Ein Sommernachtstraum«. „Regisseur Jürgen Gosch... knüpft bei Alexander Lang an, der 1980 am Hause das Stück entromantisierte, welcher Prozedur damals aller Wald zum Opfer fiel. Fragwürdig ist das schon, wenn die Figuren angeblich inmitten üppiger Natur agieren, obendrein immer mal wieder das Wort »Wald« im Munde führen, aber nur leerer Raum zu sehen ist. Jürgen Gosch und Bühnenbildner Johannes Schütz glauben, mit kahler Szene auszukommen. Sie kredenzen die »Herrscher«-, »Rüpel«- und Liebhaber-Szenen in einem als Fernsehglotze stilisierten Guckkasten, in dem sich ein großes weißes Viereck bewegt, grün beleuchtet, wenn Wald assoziiert werden soll.... Kargheit ist angesagt.“ (9.52)

 

sommernachtstraum

„Handwerker“: Blasebalgflicker (Stephan Grossmann), Kesselflicker (Michael Gerber) und Weber (Christian Grashof, r.vorn)

 

Mit Handkes zeitgenössischem Stück hatte sich Jürgen Gosch in seiner behutsam-zurückhaltenden Art politischer Aktualität gestellt, mit Shakespeare (gemeinsam mit Bühnenbildner Johannes Schütz) eine drastische Poetisierung des Bühnenraums probiert. Mit Schillers „Jungfrau von Orleans“ verhalf er ein Jahr später klassischem Text mittels abstrakt-poetischer Szenerie zu politischer Aktualität.

„Jürgen Goschs Inszenierung... ist zugute zu halten, daß sie dem Anspruch dieser poetischen Legende spielerisch und auch sprecherisch gerecht wird. Ausdruck der Geste und Wohllaut des Verses finden sich im wesentlichen zu überzeugender Harmonie. Das will erst einmal gekonnt sein. Also das alte Stück nicht kritisch als Farce hingestellt, sondern mit einfühlsamem Verständnis zu theatraler Renaissance geführt. Ging es Jürgen Gosch um zwar schönen, aber leeren Schein? Nehme ich die Szene seines Bühnenbildners Johannes Schütz, den zarten Pastellfarbton einer Gassenbühne und den hellen Boden des halbrund in den Zuschauerraum vorgeschobenen Podestes, ist da schon ein fast ätherisch reines Spiel herausgefordert, das sich selbst genügen könnte. Allerdings stören die Kostüme, insonderheit die wie aus bunter Pappmache gefertigten Rüstungen der Herren Ritter, welche obendrein ständig ihre weißen Unterhosen vorführen, verziert mit Strumpfbändern... Das macht stutzig... Wozu... Schillers Johanna? Etwa gar, um sich endlich einmal wieder an mythisch heldischem militärischem Schlachten laben zu können? Das französische Jungfräulein geht bekanntlich nicht gerade gnädig mit den englischen Eindringlingen um. Darauf läßt sich antworten, daß Gosch, Schiller getreulich folgend, zwar der Johanna religiös-verklärte Militanz nicht mindert, sie aber auch nicht forciert. Mit Solveig Krebs hat er eine Schauspielerin besetzt, die vom Typ her ganz selbstverständlich das redliche Mädchen vom Lande verkörpert; ein wenig naiv und linkisch, das lange Haar wirr um die Schultern hängend, den Blick kaum gen Himmel gerichtet, sondern brav begeistert und unschuldig in die Welt. Dies Kind der Natur, nicht robust zwar, eher zierlich, ficht seinen göttlichen Auftrag aus, wacker und bieder wie Schafehüten für die Familie. Ist ihre nationale Leidenschaft vielleicht hausbacken? Zumindest kommt sie nicht hysterisch daher oder gar gefährlich, sondern mit fröhlich-aufrichtigem Pathos. Dieser Johanna Handeln, selbst wenn sie ihre Fahne recht eigentlich unbeholfen-komisch in die Luft hält, ist in gewisser Weise von auffallender Gesundheit - wie just in Zeiten, als nationale Eintracht eines Volkes noch optimistisch mit Zukunft verknüpft war und nicht belastet mit verbrecherischer Vergangenheit.“ (9.53)

Als der Berliner CDU/SPD-Senat begann, mit fadenscheiniger, recht eigentlich verlogener Begründung die Ablösung Thomas Langhoffs als Intendant des Deutschen Theaters zu betreiben - ähnlich war es übrigens dessem Vater Wolfgang unter anderem Regime ergangen - , war des Bleibens für Jürgen Gosch in Berlin nicht mehr. Seit der Spielzeit 1999/2000 arbeitet er regelmäßig am Düsseldorfer Schauspielhaus. Mit Kleists "Käthchen von Heilbronn" überzeugte er Kritiker wie Publikum. Die Spielzeit 2000/2001 eröffnete er mit der Deutschen Erstaufführung von Jon Fosses "Der Name“, die Spielzeit 2002/2003 mit Kleists "Prinz Friedrich von Homburg". Im Mai 2001 hatte er Shakespeares "Hamlet“ inszeniert. Doch auch am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg ist er ein gefragter und gern gesehener Regisseur...

 

 

 

 

Anmerkungen:

 

9.49   Neues Deutschland, 9. Oktober 1995    Zurück zum Text

9.50   Neues Deutschland, 4./5. Mai 1996    Zurück zum Text

9.51   Neues Deutschland, 19. Juni 1997    Zurück zum Text

9.52   Neues Deutschland, 22. Oktober 1997    Zurück zum Text

9.53   Neues Deutschland, 24. September 1998    Zurück zum Text

 

 

 

 

 

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